Kurz vor der Wende war es schwer als Normalsterbliche mal eben außer der Reihe in den Westen zu reisen und schon gar nicht im Spätsommer 1989 als die DDR schon am Boden lag. Doch es gab für ein paar Nauener die unverhoffte Gelegenheit und prompt ging es schief. Zwei Spieler der BSG Einheit Nauen nutzten die Gelegenheit zur Flucht aus der DDR.

Stadionheft Spandau gegen Nauen 1989
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Am 23. September 1989 hatte Norbert Segebarth, SED-Parteisektretär im Nauener Verkehrsbetrieb, 17 Fußballer und drei Funktionäre der BSG Einheit Nauen, in die Havelstadt Spandau kutschiert.

Doch als die Nauener Delegation nach Ihrer 4:1 Niederlage gegen eine Spandauer Auswahl um ca. 20:00 Uhr den Rückweg antreten musste, waren zwei Sportler der Nauener Mannschaft verschwunden: Mannschaftskapitän Holger Friedrich aus Nauen und Fußballer Volker Tiede aus Brieselang.

„Es verbreitete sich schnell das Gerücht, dass diese zwei Spieler mit Spielern aus Spandau einen Kurzbesuch des Kurfürstendamms unternommen hätten“, berichtete Delegationsleiter Waldemar Schorr, „dies veranlasste uns, die Entscheidung zu treffen, die Abfahrt um ca. 35 Minuten hinauszuzögern. Da hat sich eine gewisse Unruhe und Betroffenheit in der Mannschaft bemerkbar gemacht.“

Stadtauswahl Spandau gegen Stadtauswahl Nauen 1989

Zwei Tage später erklärte Nauens damaliger Bürgermeister Kuhn warnend: „Ich möchte mit Nachdruck erklären, dass sich die kommunalen Kontakte mit Spandau nur dann gedeihlich weiterentwickeln können, wenn die Spandauer Seite beim Empfang von Delegationen die Sicherheit Ihrer Gäste aus der DDR strikt gewährleistet.

Doch der beginnende Aufbruch in der DDR verhinderte den erwogenen Abbruch des Sportaustausches. Am 14. Oktober 1989 kam die Spandauer Stadtauswahl zum Rückspiel nach Nauen.

Die Spieler der BSG Einheit Nauen, Holger Friedrich und Volker Tiede sind bis nach dem Mauerfall im Westen verblieben und hatte somit erfolgreich das Freundschaftsspiel zur Flucht aus der DDR genutzt.


Originalbericht einer Flucht aus der DDR

Als die Nauener Fußballer am 2. September 1989 zum Wettkampf nach Spandau fuhren, erstattete Waldemar Schorr Bericht. Er war damals „Vorsitzender des Kreisvorstands des Deutschen Turn-und Sportbunds (DTSB) der DDR“. Das SPANDAUER VOLKSBLATT bringt einen Auszug. Die Szene:
Die Nauener Delegation trifft sich mit den Spandauern zum Abschiedsessen. „In Absprache mit dem Gastgeber, Herrn Salomon, wurde gegen 20 Uhr Übereinstimmung zum Abschluss des Banketts getroffen. Dies entsprach der protokollarischen Festlegung des Programms. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es keinerlei Veranlassung, Sorge darüber zu empfinden, dass nicht das gesamte Kollektiv die Heimreise antritt. Nach der Aufforderung, den bereitstehenden Bus zu besteigen und das Reisegepäck zu fassen (aus der bis dahin verschlossenen Kabine), wurde festgestellt, dass zwei Reisetaschen in der Kabine standen. Nach der Durchsicht im Bus über die Anwesenheit stellte sich heraus, dass die Spieler Holger Friedrich (Mannschaftskapitän), wohnhaft: Nauen, (…) und Volker Tiede, wohnhaft: Briese-lang (…), nicht anwesend waren. Das nochmalige Durchsuchen der Umgebung durch uns war erfolglos. Der zur Verabschiedung anwesende Gastgeber, Herr Salomon. mit einer Reihe von Abgeordneten und Sportfunktionären, nahm von der Abwesenheit der beiden Sportler Kenntnis. Bei allen Anwesenden wurde Betroffenheit und Unverständnis sichtbar. Es verbreitete sich das Gerücht, dass diese zwei Spieler mit Spielern aus Spandau einen Kurzbesuch des Kurfürstendamms unternommen hätten. Dies veranlasste uns, die Entscheidung zu treffen, die Abfahrt um ca. 35 Minuten hinauszuzögern. Da hat sich eine gewisse Unruhe und Betroffenheit in der Mannschaft bemerkbar gemacht, und da am Bus auch weitere Bürger aus Westberlin sich anfanden, haben wir uns dazu entschlossen, die Abreise vorzunehmen. Herr Salomon und der Leiter seines Sportbüros gaben uns die Versicherung, dass, falls beide Sportler eintreffen, sie mit dem Pkw zur Grenze nachgeführt werden. Im Falle einer anderen Information über den Verbleib würde Herr Salomon sich direkt an den Bürgermeister von Nauen, Herrn Kuhn, wenden.

Beim Grenzübergang haben wir sofort die Grenz- und Sicherheitsorgane in Kenntnis gesetzt. Nach Ankunft in Nauen informierten wir den 1. Sekretär der Kreisleitung der SED, den Diensthabenden des DTSB-Bundesvorstandes in Berlin und den Bürgermeister der Stadt Nauen. Zusammenfassend schätzen wir ein, dass die Massenmedien (Fernsehen RIAS-TV und SFB) in ihrer gesamten Fragestellung und journalistischen Anlage einen provozierenden Charakter hatten. Das bezog sich auf a) die Ausreisewelle über Ungarn und mehr Freiheiten in der DDR, b) über unbürokratische Sportver-bindungen, c) Reaktion auf das Konsumangebot in den Schaufenstern der Geschäfte in Spandau. Diese Medienbelagerung entsprach nicht den vorher mit Herrn Salomon vereinbarten Protokollfragen. (…) Durch den Gastgeber wurden alle vorher besprochenen Programmpunkte eingehalten, und das Klima trug dazu bei, dass das Bemühen bestand, diese Veranstaltung erfolgreich abzuschließen. Die geführten Tischgespräche fanden in einer offenen und freimütigen Atmosphäre statt. Die Linienführung der Gastgeber (Spieler von Spandau) bei diesen Gesprächen war von der Hetze der westlichen Massenmedien geprägt.: — Vergleich Lebensniveau DDR—BRD—Berlin-West — Reisefreiheit — Fluchtwelle über Ungarn — Reformforderungen in der DDR.(. . .)“