Die Welt mit ihren anscheinend unermesslichen Weiten und ihren 2000 Millionen Bewohnern , das mächtige und im Weltall doch so winzige, anscheinend haltlos schwebende Sternengebilde horchte auf, jeden Tag um die gleiche Zeit, auf den Ruf: „Achtung! „Achtung! Sie hören jetzt das Nauener Zeitzeichen!“ Stets gibt Nauen so von neuem den Ton, die Zeit an. Die ganze Welt richtet sich hierbei nach Nauen, dem funktechnischen Mittelpunkt der Welt. Mit Blitzesschnelle umkreisen die Funkmeldungen von Nauen den Erdball, die Weltmeere spielend überbrückend und die Verbindung zu den entferntesten Völkern der Erde herstellend. Für den Laien ein Wunder der Wissenschaft und der Technik.

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Erstes Gebäude der Funkstation Nauen

Durch Nauen nahm Deutschland die führende Stelle im funktechnischen Leben der Völker ein. Wohl sind in den Jahren Funksender wie Pilze aus der Erde gewachsen, alle jedoch nur mit einem beschränkten Wirkungskreis. Von Nauen aber sprach man zur Welt.

Tag und Nacht und ununterbrochen schossen unsichtbar die elektrischen Wellen wie Blitze von den Nauener Funktürmen in den Äther. Etwa 20 Millionen Worte wurden jährlich nach Übersee von Nauen aus gefunkt. Der Gebührenwert hierfür betrug etwa 40 Millionen Mark. In der weltwirtschaftlichen Auswirkung vervielfältigt sich diese Summe, denn jedes Wort, jedes Gespräch hatte eine wirtschaftliche, politische oder sonstige wertvolle Bedeutung.

Die 13 Verbindungen von Nauen gingen nach Nordamerika, Argentinien, Brasilien, Chile, Ägypten, Persien, China, Japan, Niederländisch-Indien, Siam, den Philippinen, Mexiko und Kuba. Sie sind dreimal so lang wie der Erdumfang nämlich rund 120.000 km. Der Verkehr nach Nordamerika war so stark, wie alle anderen Verbindungen zusammen. Über die Stationen in den genannten Ländern können von Nauen aus Verbindungen nach fast allen Orten in der Welt hergestellt werden. Nauen hatte sich so zu einem achtunggebietenden Faktor im Weltnachrichtenverkehr und in der Völkerverständigung entwickelt.

Besondere Dienste leistete die Großfunkstelle Nauen dem Deutschen Reiche im 1. Weltkrieg, als die Feindmächte die deutschen Überseekabel durchschnitten hatten und ein Verkehr mit den deutschen Kolonien und dem neutralen Auslande nur auf drahtlosem Wege möglich war.

Es war im Wesentlichen ein Verdienst der Nauener Station und ihrer Pioniere, dass heute fast jeder ein Handy besitzt, und wenn man in den entlegensten Winkeln der Provinz – wie in der Großstadt – in jedem Haushalt, in der Eisenbahn, im Flugzeug und auf hoher See Fernsehen, Radio und Mobilfunk nutzen kann.

Der Deutsche Heinrich Hertz machte Ende des 19. Jahrhunderts erste Funkversuche. Der Italiener Marcroni griff sie auf und baute die Erfindung in England aus, da sein eigenes Land ihr keine Unterstützung entgegenbrachte. Zu gleicher Zeit arbeiteten die deutschen Slaby, Braun und Graf Arco an der Erfindung, die die Welt in staunen setzte. Die Telefunkengesellschaft wurde gegründet. Durch sie entstand bereits im Jahr 1906 die erste Versuchsanstalt auf dem Moorboden hinter dem Nauener Stadtwald.

Durch seine Großstation ist Nauen weltberühmt geworden, und zwar zufällig, dadurch, dass der ideell an den Versuchen interessierte frühere Besitzer des Geländes, Stolze, dieses billig erst durch Pacht und später durch Kauf zur Verfügung stellte. Zudem erschienen die Vorbedingungen durch den Moorboden und die weitere Ebene erfüllt, und liegt der Platz nicht in der unruhigen Großstadt, ist aber mit Berlin durch den Vorortverkehr eng verbunden. Einst umfasste das Gelände 2,5 Millionen Quadratmeter und stellte mit seinen bis zu 265 Meter hoch in den Himmel ragenden Masten und sonstigen Anlagen einen Wert von vielen hundert Millionen Mark dar, die Anlage war damals technisch so entwickelt, dass zu ihrer gesamten Bedienung eine Belegschaft von 90 Personen genügten und von dieser die projektierte, eigene Reserve-Stromerzeugung mitbetreut werden konnte. Der erforderliche laufende elektrische 50periodische Drehstrom mit 50.000 Volt Spannung wurde der Station durch die Märkischen Elektrizitätswerke vom Großkraftwerk Finkenwerder bei Frankfurt an der Oder zugeführt, und zwar auf 3 Freileitungen bis zum Schalthaus beim Stationsgebäude. Von diesem wurde der Strom auf Erdkabeln zur Transformatorenanlage geleitet, in der die erforderliche Umformung erfolgte. Ihren Wasserbedarf deckt die Station beim Wasserwerk der Stadt Nauen.

Die gewaltigen Anlagen der Station wurden während des und nach dem 1. Weltkrieg errichtet.

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Neubau nach Muthesius

1918 ging die Station in den Besitz der Transradio AG für drahtlosen Überseeverkehr über. Die Gründung dieser AG erfolgte durch die Telefunkengesellschaft in Verbindung mit Siemens & Halske und der AEG. Die feierliche Einweihung der Station in ihrer heutigen Gestalt erfolgte im Jahre 1920 in Gegenwart des Reichspräsidenten und von Vertretern der höchsten deutschen Reichsbehörden. Bei ihrer Gründung hatte die Transradio AG vom Reich eine dreißigjährige Konzession zur Wahrnehmung des gesamten deutschen Überseefunkverkehrs erhalten. Nach der Eröffnung hatte die Station eine große Anziehungskraft auf Fürsten, Industriegewaltige, Politiker und sonstige führende Personen des In- und Auslandes ausgeübt. Die jährliche Besucherzahl betrug ca. 7000 Personen. Von einem Abschluss des Ausbaues der Station konnte jedoch keine Rede sein. Wenig später musste, einem Erweiterungs- und Sicherungsbedürfnis entsprechend, ein Teil der Straße von Nauen nach Kremmen eingezogen und in einem großen Bogen um die Station verlegt werden. Später wurden dann Versuche gemacht, einen Teil der viele Kilometer weit sichtbaren, hohen Sendemasten, die Wahrzeichen der Station und der Stadt Nauen, durch kleinere Kurzwellensender-Masten zu ersetzen.

Die Einführung des Kurzwellenbetriebes eröffnet neue ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten. Die Versuche haben gezeigt, dass auf ein und derselben Welle durch Überlagerung mit besonderen Frequenzen gleichzeitig auf einer größeren Anzahl von Telegraphenkanälen gearbeitet werden kann, dass die Kurzwellensender sich neben der Telegraphie auch für drahtlose Telefonie und Bildübertragung eignen und auf derselben Welle zur gleichen Zeit telegraphiert und telefoniert werden kann. Besonders im Bildfunk sind bedeutende Fortschritte erzielt. Durch einen Fernseher soll die Möglichkeit der Übertragung von Filmen und die Fernsichtbarkeit von Personen gegeben werden. Unwahrscheinlich musste damals jedem Laien die Vorstellung anmuten, dass er eines Tages in seiner Wohnung nicht nur die Musik einer Oper hören, sondern deren Künstler auch sehen kann. Wer aber wollte nach den Erfahrungen der damaligen Jahre auf diesem Gebiet noch behaupten, dass dieses unmöglich ist?

Neben wesentlichen Fortschritten im Chiffrieren von Funktelegrammen und Funktelefongesprächen, wodurch Unberufene ausgeschaltet werden, konnte die Bildtelegrafie bereits neu eingeführt werden. Durch die letztere konnten Telegramme in fremdsprachigen Schriftzeichen dem Empfänger originalgetreu zugeleitet werden. Z. Bsp. war dadurch den Japanern, Chinesen und Ägyptern in Deutschland eine wesentliche Erleichterung im Verkehr mit ihrem Mutterland gegeben.

Die Nauener Station verbesserte ihre Übertragungsgeschwindigkeit immer mehr und erreichte als bald eine Höchstgeschwindigkeit von 300 Worten in der Minute bei einer Sendung nach Amerika. Bei nur 10 Sendungen zur gleichen Zeit bedeutet das die unglaubliche Leistung von 3000 Worten in der Minute.

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Maschinenhalle im Neubau

Ein besonderer Verdienst der Nauener Großfunkstation und der Funktelegrafie überhaupt war die Verbilligung der Telegrammgebühren. Während früher das Telegrammwort nach Amerika 21,00 Reichsmark kostete, bei einer Mindestgebühr für zehn Worte, also 210,00 Reichsmark für ein Telegramm, kostete drahtlos dieses Wort dann nur noch 1,10 Reichsmark, und dieses trotz der auf allen Wirtschaftsgebieten eingetretenen Teuerung gegenüber den Verhältnissen vor dem Krieg. Für Pressetelegramme, tägliche Funkbriefe und Wochenendtelegramme werden zudem noch Ermäßigungen von 1/5 bis 1/2 der vollen Gebühr zugestanden. Außer dem Telegrammverkehr hatte die Nauener Funkstation noch die weitere wichtige Aufgabe der Verbreitung von Pressenachrichten, die in der Form eines Presserunddienstes täglich mehrere Male in deutscher, englischer und spanischer Sprache ausgesandt und zu gleicher Zeit von vielen Empfangsanlagen auf der ganzen Welt und von den Schiffen auf hoher See aufgenommen und weiterverbreitet werden konnte. Ebenso selbstverständlich wie der Flugzeuginsasse in jeder Höhe und Weite verbunden bleiben konnte, so nahm der Reisende eines Ozeanriesen seine Bordzeitung zur Hand und informierte sich über wichtige Ereignisse, die vielleicht erst eine Stunde vorher irgendwo in der Welt begeben hatten. Drahtlos gab der Reisende vom Schiff aus eine geschäftliche Anweisung, oder das Schiff konnte sich nun auch drahtlos bemerkbar machen wenn es in Not geraten war. Heute wäre das alles undenkbar dass Schiffe oder Flugzeuge ohne Funkverbindung ihren Dienst tätigen würden.

Die Erledigung eines Privattelegramms nach Übersee gestaltete sich denkbar einfach. Der Absender gab sein Telegramm telefonisch oder schriftlich seinem Telegrafenamt. Von diesem erfolgte die Weitergabe an die Betriebszentrale beim Haupttelegrafenamt in Berlin. Mittels eigener Leitung wurde von diesem das Telegramm über Nauen „ferngetastet“. Die Funkstation in dem betreffenden Überseeland empfängt und drahtet an das dort zuständige Telegrafenamt zur Weiterleitung. Auf dem gleichen Wege erfolgte die Antwort, nur nicht über Nauen, sondern über Geltow bei Potsdam. Von Geltow ging alles auf eigener Leitung zur Zentrale nach Berlin, in der die Mehrzahl von den etwa 500 Angestellten der Transradio AG beschäftigt war. So ist wurde der Ring geschlossen. Die Zentrale in Berlin sendete und empfing, Nauen und Geltow waren ausführende Organe oder Durchgangsstationen. Später wurde in Beelitz eine weitere Empfangsstation errichtet worden. Eine Zweigbetriebszentrale bestand in Hamburg.

Für die Nauener bestand dabei das Kuriosum, dass sie sich indirekt an Berlin wenden mussten, um eine Sendung von Nauen aus zu veranlassen.
Für die telefonische Verbindung waren zu dieser Zeit drei Linien im Betrieb, und zwar nach Brasilien, Argentinien, und Niederländisch-Indien. Diese Strecken von durchschnittlich 11.000 km wurden bei guter Verständigung spielend überwunden, und wurde von ihnen in steigendem Maße Gebrauch gemacht. Bei freier Leitung konnte eine Verbindung z. Bsp. nach Brasilien in einigen Minuten erfolgen. Sie wurde hergestellt wie jedes gewöhnliche Gespräch durch Anruf beim Postamt.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1932 ab gingen dann die gesamten Anlagen der Transradio AG in den Besitz des Reiches, und zwar der Reichspost über.

Die Leistung der Großfunkstelle Nauen betrug im Jahre 1919 nur 60.000 Worte und im Jahre 1929 bereits 19.000.000 Worte. Das war eine Tagesleistung von 50.000 Worten.