Die Einwohnerzahl Nauens war 1890 auf 8.040 angestiegen. Auch die Mitgliederzahl der Jüdischen Gemeinde erweiterte sich bis 1892 auf insgesamt 84 Personen in 22 Familien. So verschlug es im Jahre 1897 auch Simon und Ida Homburger mit ihrem 3jährigen Sohn Emil nach Nauen.
Ursprünglich waren die Homburgers im oberhessischen Gedern, einer Kleinstadt zwischen Fulda und Frankfurt am Main ansässig. Dort betrieben sie schon seit Jahrzehnten den damals ortsüblichen Viehhandel.
Im August 1900 wurde der zweite Sohn Lothar geboren, der aber bereits ein Jahr und drei Monate später starb. Interessant ist, dass die Sterbeurkunde von Herrn Julius Frank unterzeichnet wurde. Die Familie Frank war zur damaligen Zeit in Nauen bereits ein Begriff. Einerseits im Viehhandel, den besagter Julius Frank betrieb aber noch berühmter war der Kaufmann Alfred Frank, der es in der Stadt zu hohem Ansehen gebracht hatte und in der „Frankschen Villa“ in der Berliner Straße 35 (später die sogenannte Bürgermeistervilla) wohnte.
Da der Name Frank auch in den Büchern der jüdischen Gemeinde von Gedern auftaucht, liegt die Vermutung nahe, dass beide Familien sich bereits von dort kannten.
Ausserdem war die Ehefrau von Alfred Frank, Hanna eine geborene Homburger. 1922 starb Alfred Frank, 10 Jahre später seine Frau. Beide wurden auf dem jüdischen Friedhof in Nauen beigesetzt, der sich seit 1819 weit draußen vor der Stadt, Am Weinberg befand.
Übrigens! Der erste jüdische Friedhof in Nauen befand sich in der Jüdenkirchhof-Straße, der heutigen Waldemarstraße!
Zurück zu den Homburgers!
Kinderreichtum war ja vor 100 Jahren ein Segen, egal welcher Konfession man angehörte. Mehr Kinder bedeuten natürlich auch mehr Arbeit. Deshalb ließ Ida Homburger am 19. Februar 1903 die nebenstehende Anzeige in die Osthavelländische Rundschau setzen.
Am 14. Mai 1903 war es dann soweit – der 9jährige Emil konnte sich freuen über – Zwillingsschwestern. Ilse und Herta hießen die beiden Mädchen.
Leider verstarb bereits 9 Monate später die kleine Ilse. Die Sterbeurkunde unterzeichnete diesmal ihr Onkel David Homburger, ein jüngerer Bruder des Vaters.
Laut Adressbuch aus dem Jahre 1908 wohnte Simon Homburger und Familie in der Martkstraße 24 und David Homburger in der Chausseestraße 88. Beide Brüder wurden unter der Berufsbezeichnung Kaufmann geführt und waren Mitinhaber der Firma Frank & Homburger.
Im Jahre 1912 verstarb der Vater Simon Homburger im Alter von nur 47 Jahren und hinterließ seine Frau Ida sowie die Kinder Emil (17) und Herta (9).
Nachdem Emil seine Schulzeit am Realgymnasium am Lindenplatz (heute Grundschule am Lindenplatz)
beendet hatte, begann er eine kaufmännische Lehre in einer Bank im thüringischen Hildburghausen. Bis Ende 1914 arbeitete er als Bankangestellter in verschiedenen Städten Deutschlands.
Als Soldat im 1. Weltkrieg erhielt er diverse Auszeichnungen, wie z.B. das E.K. II, das Hessische Ehrenzeichen am Kriegsbande und das Frontkämpferkreuz. Auf diese Auszeichnungen war er sehr stolz, waren sie doch die Belohnung für seinen Einsatz für das Deutsche Vaterland.
Nach der Entlassung aus dem Kriegsdienst heiratete er am 18. November 1919 in Prenzlau Frieda Horwitz. Das junge Glück war von kurzer Dauer, denn nur 3 Monate nach der Hochzeit verstarb Frieda Homburger im Alter von 26 Jahren.
Nach einem Jahr der Trauer lernte der junge Witwer Bianka Bernstein kennen. Sie stammte ursprünglich aus Schroda, einer Kleinstadt in der damaligen Provinz Posen, wohnte aber jetzt mit ihrer Familie in Berlin am Kurfürstendamm. Am 05. Juli 1921 wurde die Ehe in Berlin geschlossen und ein Jahr später, am 18. Juli 1922 wurde Sohn Hans geboren.
Im gleichen Jahr zog die Familie nach Nauen, wo Emil Homburger in der Marktstraße 19 ein Bekleidungsgeschäft eröffnete. Sein Onkel David Homburger betrieb mittlerweile in Nauen ein eigenes Bankgeschäft in der Potsdamer Straße 55, der heutigen Goethestraße.
Emils Schwester Herta heiratete in Nauen im Jahre 1923 den Bankbeamten Herbert Goldmann. Ihr Bruder Emil unterschrieb als Trauzeuge die Heiratsurkunde. In zweiter Ehe war sie mit Josef Bauer verheiratet, mit dem sie später in Berlin lebte.
Auch wenn die 1920er Jahre gekennzeichnet waren von Inflation, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise, versuchte jeder sich irgendwie durchzuschlagen. Der eine hatte mehr und der andere weniger Glück. Trotzdem lebten alle Einwohner der Stadt friedlich nebeneinander, egal welcher Religionsgemeinschaft sie angehörten.
1932 lebten in Nauen 13 jüdische Familien. Diese versuchten, wie viele Juden im Deutschen Reich, sich durch Übernahme von Verhaltensnormen und Lebensweisen ihrer nicht-jüdischen Umwelt anzupassen.
Dabei traten die religiösen Belange in den Hintergrund. Die politische und staatsbürgerliche Identifikation stand im Vordergrund, was insbesondere die jüdischen Frontkämpfer des 1. Weltkrieges zelebrierten.
Die Einwohner Nauens interessierten sich nicht für die Religion der Geschäftsinhaber. Sie wollten gut und preiswert einkaufen und gingen gern in die zahlreichen großen und kleinen Geschäfte der Altstadt, auch wenn diese jüdische Besitzer hatten, wie das Kaufhaus Emil Hirsch in der Mittelstraße 37 oder das Kaufhaus der Geschwister Ploschitzki in der Berliner Straße Ecke Mittelstraße.
Aber auch kleine Geschäfte, wie das alt eingesessene Fotoatelier der Schwestern Laski in der Dammstraße 17 oder das Geschäft von Emil Homburger in der Marktstraße 19 waren bei den Nauenern beliebt.
Auch an den Schulen der Stadt wurden alle Schüler und Schülerinnen gleichwertig behandelt, egal welcher Religion sie angehörten. Über das Reformrealgymnasium, das heutige Goethe-Gymnasium, war damals zu lesen:
Die Zahl der Schüler betrug zu Ostern 1930 insgesamt 256, davon waren 243 evangelisch, 12 katholisch und 1 Schüler jüdischer Konfession
Seit 1929 besuchte Emils Sohn Hans die siebenstufige Knaben-Volksschule in der Berliner Straße 29 (heute befindet sich dort die Regenbogenschule). Sein Lehrer hieß Richard Lange, dem der Ruf vorausging, dass er seine Schüler besonders forderte und förderte. Er war streng, aber gerecht. Obwohl er noch zur Generation „Pauker“ oder besser noch „Arschpauker“ gehörte, war er bei den Schülern sehr beliebt.
Diese Beliebtheit, sein Fachwissen und seine unbelastete Vergangenheit ermöglichten ihm, auch nach 1945 weiter in Nauen zu unterrichten.
Im Jahre 1933 wechselte der 10-jährige Hans Homburger von der Knabenschule auf das Reformrealgymnasium.
>>> Hier zu Schicksal der Familie Homburger – Teil3 – Das Unheil nimmt seinen Lauf
>>> Hier zu Schicksal der Familie Homburger – Teil1 – Jüdisches Leben in Nauen
Autor: Uwe Ulrich
Quellennachweis:
- Aus der Geschichte der Stadt Nauen, die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer
- Wie in einer Rumpelkammer, Erinnerungen 1923 – 2005 von Günther Mönke
- Transnationale Spurensuche in den Anden, von geflüchteten Juden, „Altdeutschen“ und Nazis in
- Bolivien von Juliana Ströbele-Gregor
- Hotel Bolivia von Leo Spitzer
- Und seh’n wir die Heimat nicht wieder – vom märkischen Nauen zum nördlichen Eismeer 1941 -1945
- von Kurt Raschke
- Das Landwerk Neuendorf: Berufsumschichtung – Hachschara -Zwangsarbeit von Harald Lordick
- Nauener Heimatblätter, herausgegeben von den Nauener Heimatfreunden 1990 e.V.
- In Nauen durch die Jahrhunderte von Martina al Diban
Für die freundliche Unterstützung bei der Recherche und für die Übergabe von Dokumenten,
Fotos und Informationen möchten wir uns bedanken bei:
- Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 8 Stadt Nauen Nr. 101 und Rep. 36A
- Oberfinanzpräsident Berlin-Brandenburg F648 (BLHA)
- Niedersächsisches Landesarchiv Hannover, Nds. 110 W Acc. 8/90 Nr. 221/19 und Acc. 31/99 Nr.
- 210927 (NLA)
- Landesarchiv Berlin
- Kreis- und Verwaltungsarchiv des Landkreises Havelland, Herrn Uwe Siegfried
- Magistrat der Stadt Gedern, insbesondere dem Stadtarchivar Herrn Erhard Müth
- Geschichte hat Zukunft – Neuendorf im Sande e.V., Herrn Bernd Pickert
- Stadt Nauen, insbes. dem Bürgermeister Herrn Manuel Meger und Herrn Christoph Artymiak
- Goethe-Gymnasium Nauen, insbes. Herrn Wieland Breuer und Frau Uta Reichel sowie den
- Schülerinnen und Schülern des Leistungskurs Geschichte Klasse 12
- Frau Ursula Arzbächer, Nauen und Herrn Günther Mönke, St. Ingbert
- Herrn Wolfgang Johl und Herrn Bodo Kalkowski, Nauen (Nauener Heimatfreunde 1990 e.V.)
- Herrn Wolfgang Wiech, Nauen (Nauener Nachtwächter)
- Frau Juliana Ströbele-Gregor, Berlin sowie Herrn und Frau Nölte, Nauen
- Herrn Marco Strahlendorf, Wustermark und Herrn Axel Schröder, Nauen
- Herrn Axel Huber, Singen und Herrn Andreas Freiberg, Berlin
- Frau Karla Meyer/Berlin, Herrn Mario Oberling/Falkensee, Herrn Jim Harrison/Dallgow
- Herrn Jörg Zander, Frau Isabel Llorens, Frau Katharina Schorsch, Frau Sylke Hannasky
- Frau Dr. Dr. Luisa Callejón, Berlin (Luisa Callejón Sprachdienste)
und bei allen anderen Freunden und Bekannten, die dieses Projekt ermöglicht haben.
Ganz besonderer Dank geht an die Tochter von Hans Homburger, Betty Homburger, für ihr
Vertrauen und ihre Bereitschaft, uns viele persönliche Dokumente und Informationen zur Verfügung
zu stellen.