Als gebürtiger Nauener interessiere ich mich schon immer für die Geschichte meiner Geburtsstadt. Meine große Leidenschaft ist das Sammeln von alten Ansichtskarten. Über diesen Weg lernte ich im Jahre 2018 Marco Strahlendorf kennen, der alte Fotos von Nauen auf seiner Facebookseite „Altstadt Nauen“ (heute „Funkstadt Nauen“) präsentierte. Wir erkannten schnell, dass wir beide die gleiche Absicht verfolgen, interessante Zeitdokumente und die Geschichten dahinter der Öffentlichkeit zu zeigen und nicht wie Trophäen in Schubladen verschwinden zu lassen. Damit begann eine konstruktive Zusammenarbeit, die bis heute besteht.
Über Marco lernte ich auch den Zeitzeugen Herrn Günther Mönke kennen, der 1923 in Nauen geboren wurde. Er erzählte mir Geschichten und Anekdoten aus erster Hand, die er in seinem Buch „Wie in einer Rumpelkammer“ veröffentlicht hat. Auch seine Freundschaft mit dem jüdischen Mitschüler Hans Homburger, mit dem er bis 1938 gemeinsam das Goethe-Gymnasium besuchte, wird darin erwähnt. Das Kapitel schließt mit dem Satz ab: „Einige Zeit danach waren er und seine Eltern spurlos aus Nauen verschwunden.“
Was trieb mich zu dieser Mammutaufgabe
In verschiedenen Büchern und Broschüren über die Lokalgeschichte von Nauen wird auch über das jüdische Leben in Nauen geschrieben. Im Fall der Familie Homburger verliert sich aber immer wieder die Spur Anfang 1939. Auch die Recherchen von Frau Ursula Arzbächer aus Nauen, einer alteingesessenen Lehrerin und Lokalhistorikerin, aus dem Jahre 2001 brachten kein Licht ins Dunkel. Man wusste nur, dass die Homburgers überlebt haben müssen, da der Sohn Hans Homburger im Jahre 1988 seine alte Heimatstadt besucht hat.
Jetzt packte mich der Ehrgeiz! Ich wollte unbedingt die Lücke zwischen 1939 und heute schließen! Was geschah mit den Homburgers? Wo und wie haben sie überlebt? Versteckt in Europa oder ausgereist nach Übersee?
Jedes Puzzleteil führte zum nächsten Puzzleteil
Die Recherche begann und das Glück war mir schnell hold. Nach meinem Aufruf auf Facebook erhielt ich von Herrn Axel Huber aus Singen, der ebenfalls jüdische Familienforschung betreibt, mehrere Kopien von Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden der Homburgers, denn „seine“ Familie war zeitweise auch mit „meiner“ Familie verwandt. Dieser schnelle Erfolg spornte mich an, weiter zu forschen.
Mein nächster Weg führte ins Brandenburgische Landeshauptarchiv (BLHA) nach Potsdam. Auch hier hatte ich Glück, denn dort befanden sich viele Originaldokumente aus den 1930er Jahren, wie z.Bsp. die Vermögensaufstellung, die alle Juden abgeben mussten sowie der gesamte Schriftverkehr zwischen Emil Homburger und den Behörden seit der Pogromnacht am 9. November 1938 bis zur Ausreise im Februar 1939. Hier konnte ich viele wertvolle Informationen zusammentragen und das Puzzle nahm langsam Gestalt an.
Weitere Puzzleteile erhielt ich im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover. Dort werden sämtliche Wiedergutmachungsakten von Bürgern aus der ehemaligen Provinz Brandenburg aufbewahrt. Auch hier fand ich reichlich Material besonders über die Zeit in Bolivien, wohin Emil, Bianka und Hans Homburger im Februar 1939 emigrierten. Mein Highlight: die Buchungsbestätigung der italienischen Reederei für die Passage von Marseille nach Arica in Chile.
Als ich dann noch den Kontakt zu Betty Homburger erhielt, der Tochter von Hans Homburger, die in Kanada lebt, war mein Glück komplett. Sie unterstütze mich von Anfang an und schickte mir Kopien von weiteren Dokumenten wie z.Bsp. das Transitvisum ihres Vaters für Chile und den deutschen Reisepass ihres Großvaters. Außerdem erhielt ich auch eine Abschrift eines Zeugnisses des Landwerks Neuendorf, das Hans Homburger im Februar 1939 ausgestellt wurde. Dort war er von April 1938 bis kurz vor seiner Ausreise als landwirtschaftlicher Lehrling tätig. Heute stehe ich in regem Erfahrungsaustausch mit dem Verein „Geschichte hat Zukunft – Neuendorf im Sande e.V.“, die die Geschichte dieser ehemaligen Ausbildungsstätte für jüdische Jugendliche erforscht.
Erfüllendes Ergebnis nach 3 Jahren intensiver Recherche
Nach drei Jahren intensiver Recherche war das Puzzle komplett. Ich konnte die Geschichte der Familie Homburger von 1897 bis heute erzählen und anhand von Dokumenten und Fotos auch bildlich darstellen. Es war mir deshalb eine Herzensangelegenheit, für Emil, Bianka und Hans Homburger drei Stolpersteine verlegen zu lassen und ihre Geschichte in einer Broschüre zu veröffentlichen.
Die Verlegung fand am 18. September 2021 vor ihrem letzten frei gewählten Wohnort in Nauen statt und wurde von der Vorbereitungsgruppe Stolpersteine in Falkensee und dem Osthavelland organisiert, der ich seit 2018 angehöre. Unterstützung erhielten wir sowohl von der Stadt Nauen als auch vom Goethe-Gymnasium Nauen, in dem Hans Homburger bis März 1938 zur Schule ging. Mit einem Musik- und Bühnenprogramm begleiteten Schülerinnen und Schüler des Leistungskurs Geschichte die Verlegung und die anschließende Veranstaltung in der Aula des Gymnasiums und gedachten damit ihrem ehemaligen Mitschüler.
Was für ein krönender Abschluss!
Autor: Uwe Ulrich
Hier die Geschichte zum Schicksal der Familie Homburger
>>> Teil 1 Schicksal der Familie Homburger – Jüdisches Leben in Nauen
>>> Teil 2 Schicksal der Familie Homburger – Wer waren die Homburgers
>>> Teil 3 Schicksal der Familie Homburger – Das Unheil nimmt seinen Lauf
>>> Teil 4 Schicksal der Familie Homburger – Flucht nach Bolivien