7. Teil aus der Reihe „Die Eisenbahn in und um Nauen
Die Initiative für eine Eisenbahnverbindung von Rathenow nach Nauen kam vom damaligen Kreis Westhavelland. Allerdings hatte man bei den ersten Planungen nicht die benachbarte Kreisstadt Nauen im Visier, sondern mehr die Verbindung zwischen der Lehrter Bahn in Rathenow mit der Hamburger Bahn in Paulinenaue. Der preußische Minister für öffentliche Arbeiten war aber lediglich bereit, eine schmalspurige Kleinbahn zu unterstützen. Es war sogar von einer 600-mm-Spurweite die Rede! Diese hätte aber keine Provinzbeihilfe der Mark Brandenburg bekommen und somit stimmte der Kreisausschuss in Rathenow im September 1897 dem Bau einer 750-mm-Schmalspurbahn zu. Zur Erschließung des Gutshofes in Pessin war eine Stichbahn ab Senzke vorgesehen.
Anfang 1899 begannen die ersten Bauarbeiten aber schon bald erkannte man, dass die geplante Streckenführung aus wirtschaftlicher Sicht nicht optimal ist. Immer mehr Anlieger im östlichen Teil des Kreises Westhavelland verlangten eine direkte Anbindung an die Zuckerfabrik in Nauen. Daher beschloss der Kreistag in Rathenow die ursprünglich vorgesehene Stichbahn Senzke – Pessin besser als Ergänzungsstrecke bis nach Nauen zu projektieren. Dabei wurde sogar in Kauf genommen, dass sich der Kreis Osthavelland nicht an der Finanzierung dieses Teilstücks beteiligt, da die Kleinbahn nur auf wenige Kilometer den Nachbarkreis berührte. Aber die Stadt Nauen und der Kreis Osthavelland pokerten noch weiter und hielten sich mit ihrem Engagement zurück. Erst jetzt sprang die Zuckerfabrik Nauen ein und kaufte die notwendigen Flächen im Nauener Stadtgebiet auf eigene Rechnung auf.
Am 02. April 1900 wird die Strecke Rathenow – Senzke – Paulinenaue (31,5 km) eröffnet und rechtzeitig zur Rübenkampagne am 01. Oktober 1901 wird auch der Abschnitt Senzke – Nauen (20,1 km) für den Personen- und Güterverkehr freigegeben. Mit 25 Stundenkilometern schlängelte sich die kleine Bahn von einem Dorf zum andern, was ihr auch den Beinamen „Krumme Pauline“ verlieh. Eine Fahrt von Nauen nach Rathenow dauerte damals ca. 3,5 Stunden. An den Wagen hätte deshalb auch der Hinweis stehen können „Blumen pflücken während der Fahrt verboten!“ Angeblich hatte der Schaffner anfangs noch ein Problem mit dem Ausrufen der Station Kotzen. So soll er gerufen haben: „Kotzen – wer muss, steigt aus! Wer nicht muß, bleibt sitzen!“ Um das Ansehen der Bahn nicht zu schädigen, musste er später den Zusatz „Bahnhof“ vor Kotzen setzen.
Der Bahnbetrieb der sich im Besitz des Kreises Westhavelland befindlichen Kreisbahn RSPN (Anfangsbuchstaben der vier Hauptstationen) war von Anfang an aber nicht besonders wirtschaftlich und musste von Gemeinden und Gutsbesitzern immer wieder bezuschusst werden. Aber auch das verhinderte nicht, dass am 01. April 1924 der Personenverkehr auf dem Abschnitt Senzke – Paulinenaue wegen Unwirtschaftlichkeit eingestellt werden musste. Bis zum 31.03.1943 konnte aber noch der Bedarfsgüterverkehr auf der Strecke Senzke – Wagenitz aufrecht gehalten werden. Der Bahnsteig in Nauen für die Kleinbahn aus Rathenow befand sich ungefähr dort, wo heute die Zufahrt von der Waldemarstraße zum Bahnhofsvorplatz ist, d.h. der Kleinbahnhof befand sich als südlichste Anlage parallel zu allen anderen Bahnhöfen ebenerdig hinter den Gleisen der OHKB nach Velten und Ketzin neben den sogenannten Dienstgärten. Eigentlich war es mehr ein Halteplatz auf einem durchgehenden Gleis, da Personen- und Gütergleise hintereinander lagen. Die Überquerung der verkehrsreichen Dammstraße musste durch den Zugführer selbst mit einer großen weiß-rot-weißen Handflagge gesichert werden. Ein Empfangsgebäude gab es nicht. Fahrkarten waren an einer Holzbude erhältlich.
Im Jahre 1932 erfolgte die Umbenennung in Kreisbahn RSN, da die „Stille Pauline“ jetzt hauptsächlich sowieso nur noch auf der Strecke Rathenow – Senzke – Nauen fuhr. Täglich verkehrten zwei Zugpaare, die in Senzke die Lokomotiven wechselten. Nach wie vor war die Kleinbahn sehr wichtig für die Zuckerfabrik in Nauen. Mit Kriegsbeginn im September 1939 nahm auch der Personenverkehr sprunghaft zu und brachte die Kreisbahn RSN mitunter an ihre Kapazitätsgrenzen, weil diese nun verstärkt von Wehrmachtsangehörigen der Rathenower Kasernen genutzt wurde.
Da die RSN gewaltige Mengen landwirtschaftlicher Güter zu transportieren hatte und die Standfestigkeit und Beladefähigkeit einer Schmalspurbahn schnell ihre Grenzen erreicht hat, reichte der Landrat des Kreises Westhavelland im November 1939 einen Antrag auf Umspurung auf Normalspur beim Regierungspräsidenten in Potsdam und der Bauaufsichtsbehörde der Deutschen Reichsbahn ein. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendete jedoch diese Bemühungen.
Zwei gesprengte Brücken über den Havelländischen Hauptkanal, die Demontage der Gleise zwischen Rathenow und Kriele sowie die Abgabe sämtlicher Personenwagen als Reparationsleistung an die Sowjetunion machten eine Wiederinbetriebnahme der „Krummen Pauline“ im Jahre 1945 undenkbar. Doch zumindest die Brücke zwischen Senzke und Pessin konnte schnell wieder repariert werden. Somit wurde am 09.02.1946 der Personen- und Güterverkehr auf dem Abschnitt Nauen – Kriele wieder aufgenommen. Da keine Personenwagen mehr vorhanden waren, dienten anfangs Güterwagen als Ersatz. Der Abschnitt Rathenow – Kriele ging der RSN aber für immer verloren.
Am 01.04.1949 übernahm die Deutsche Reichsbahn die Kreisbahn RSN und betrieb den Abschnitt Nauen – Kriele noch bis 1961. In diesem Zusammenhang wurde auch die Verwaltung von Rathenow nach Nauen in die Dammstraße 25a verlegt. Ironie des Schicksals: der letzte Lokführer aus Kreisbahnzeiten verstarb am 11. April 1958 bei einem Zugunglück am unbeschrankten Bahnübergang bei Selbelang, als ein West-Berliner Lkw den Kleinbahnzug übersah!
Der Personenverkehr wurde am 24.01.1961 eingestellt und mit der Einstellung des Güterverkehrs am 01.04.1961 war das Schicksal der „Stillen Pauline“ besiegelt. Nauen verlor ein Stück Eisenbahnromantik.
Güterwagen und Lokomotiven wurden auf andere Strecken umgesetzt und die Gleise nach und nach abgebaut. Auf dem ehemaligen Kleinbahnhof standen noch bis 1994 ein paar Erinnerungsstücke. Einige Jahre nach Stilllegung der Kleinbahn wurde direkt auf deren Trasse an der Dammstraße ein Imbiss-Kiosk errichtet, der zwar schon lange geschlossen ist aber trotzdem irgendwie Retrocharme versprüht. Weiter westlich, hinter der Hertefelder Straße, kann man heute auf dem Havelland-Radweg die ehemalige Kleinbahnstrecke erkunden.
Autor: Uwe Ulrich
Hier zum 8. Teil – Der große Umbau vom Bahnhof Nauen
Hier zum 1. Teil – Die Eisenbahn in und um Nauen
Hier zum 2. Teil – Der Ursprungs-Bahnhof
Hier zum 3. Teil – Die Kleinbahnen
Hier zum 4. Teil – Von Nauen nach Velten mit der Töpferbahn
Hier zum 5. Teil – Nauen – Wildpark – Umgehungsbahn
Hier zum 6. Teil – Nauen – Oranienburg – nördliche Umgehungsbahn