Die ersten Juden in Nauen – Bereits im Mittelalter gehörte Nauen zu den märkischen Städten in denen Juden ansässig waren. Im Jahre 1315 „schenkte“ Markgraf Waldemar der Stadt zwei Schutzjuden. Durch den Aufenthalt dieser Schutzjuden hatte Nauen eine sichere Einnahmequelle, denn diese mussten ein entsprechendes Schutzgeld entrichten. Meist wurden die Juden am Rand der Stadt untergebracht und auch nur dort geduldet. Juden wurden auch immer wieder für den Ausbruch von Epidemien, Hungersnöte oder Verteuerungen verantwortlich gemacht. Aber trotz solcher Verleumdungen gab es immer Juden die für Handel und Geldgeschäfte gebraucht wurden, andere Tätigkeiten waren ihnen untersagt.
Ab dem 18. Jahrhundert wurden die Juden in Nauen sesshaft. Die Juden waren weiterhin vielen Beschränkungen in wirtschaftlicher, sozialer, beruflicher und rechtlicher Art ausgesetzt. Sie vielen durch ihre Art sich zu kleiden und ihrer Sprache, ein Gemisch aus Hebräisch und Deutsch in der Nauener Bevölkerung auf. Durch das erhalten gebliebene Nauener Stadtarchiv lässt sich die Entwicklung der jüdischen Gemeinde Nauens besser nachvollziehen.
Die Bildung einer Jüdischen Gemeinde
Juden waren gezwungen in einer jüdischen Gemeinde zu leben. Die Mitglieder der Gemeinde wählten einen Vorsteher, dieser war zuständig dafür die „weltlichen“ Gemeindeangelegenheiten zu verwalten. Des Weiteren war er damit betraut die Beiträge der Gemeindemitglieder einzuziehen und die Gemeindeabgaben an die Stadt zu zahlen. Vorsteher und Lehrer vertraten die jüdische Gemeinde gegenüber staatlichen Stellen. Das Versammlungshaus der Juden ist eine Synagoge, diese diente damals gleichzeitig als Gebetsraum, jüdisches Lehrhaus und Schule für die Kinder, die dort das Lesen und Schreiben hebräischer Schriften erlernten. Konnte sich eine jüdische Gemeinde keine Synagoge leisten, so wurden Privaträume als Versammlungsstätten genutzt.
Die „Judensachen“ betreffend beinhalten die Polizeiakten des Magistrats für 1787 eine Aufstellung sämtlicher Juden der Stadt, also aller männlichen und weiblichen Personen. Demnach gab es 5 Schutzjuden, 6 Frauen, 17 Söhne, 11 Töchter, 4 Knechte, 4 Mägde und 2 öffentlich Bedienstete. Insgesamt seien es 49 Personen. 1795 hatte sich die Zahl der Schutzjuden auf 7 und 1800 auf 8 erhöht. Die Stadt hatte zu dieser Zeit 3076 Einwohner.
Im Jahre 1800 ist die Jüdische Gemeinde wirtschaftlich so gefestigt, dass sie sich eine eigene Synagoge errichten kann. Es ist das Haus Nr. 11 in der damaligen Potsdamer Straße, der heutigen Goethestraße. Ab 1812 galten Juden galten als Preußische Staatsbürger. Damit genossen sie völlige bürgerliche Gleichstellung mit den Christen, das Recht der freien Niederlassung und der Gewerbefreiheit sowie das Recht, die Verwaltung von Lehr-, Schul- und Gemeindeämtern zu übernehmen. Doch die volle Verwirklichung dieser Ziele ließ wegen des Widerstandes großer Teile der übrigen Bevölkerung noch Jahrzehnte auf sich warten.
Da die jüdischen Bürger nun im ganzen Lande ihren Aufenthalt nehmen konnten, kamen sie teils in Konflikt mit den bereits sesshaften Mitgliedern der Jüdischen Gemeinden, die neue tüchtige Zuwanderer als Konkurrenten betrachteten. So teilten am 19. Januar 1817 Nauener jüdische Handelsleute dem Magistrat mit, dass sie nicht damit einverstanden seien, dass sich ein israelitischer Handelsmann aus der Altmark hier niederließe. Doch nach einem langen Schriftverkehr mit dem Magistrat und der Regierung in Potsdam wurde am 17. Juli 1817 entschieden, dass der Niederlassung der Gebrüder Moses und Aron Schönfeld nichts entgegenstehe.
1819 errichtete die Jüdische Gemeinde außerhalb der Stadt, am Weinberg, eine neue Begräbnisstätte. Im Stadtforst erwarb sie dafür von der Stadt Land. Diese Anlage erhielt eine der Unebenheit des Geländes angepasste Mauer und eine Friedhofshalle.
Nauens Einwohnerzahl war 1890 auf 8.040 angestiegen. Die Mitgliederzahl der Jüdischen Gemeinde erweiterte sich bis 1892 auf insgesamt 84 Personen in 22 Familien. Es war die Zeit, in der Nauen einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Die 1899 erbaute Zuckerfabrik ließ viele neue Arbeitsplätze entstehen, und mehrere tausend Landwirte der Umgebung waren diesem Betrieb als Rübenanbauunternehmer angeschlossen. Die erhebliche Steuerkraft des Unternehmens bedeutete für die Stadt eine sichere Einnahmequelle. Nauen wurde in dieser Zeit auch zu einem Verkehrsknotenpunkt. 1890 eröffnete man den Vorortverkehr mit Berlin. 1892/93 entstand die Bahnstrecke Nauen – Ketzin, die auch für die Verbindung der Zuckerfabrik mit ihrem zweiten Betrieb in Ketzin von Bedeutung war. 1901 schaffte man mit der Schmalspurbahn zwischen Nauen – Senzke – Rathenow eine Verbindung, die die großen landwirtschaftlichen Betriebe mit Nauen verband. 1902 wurde die Staatsbahn von Nauen nach Wildpark eröffnet, und 1904 bekam Nauen durch die „Töpper-und Kachelbahn“ eine Verbindung nach Velten, dem Zentrum der Kachelindustrie. Das alles belebte den Standort Nauen. So fanden 1901 in Nauen 190 Handwerksbetriebe ihr Auskommen. Die gestiegene Kaufkraft förderte das Entstehen von Geschäftshäusern, und mit dem wachsenden Wohlstand veränderte sich auch das Stadtbild. Die stattlichen Bauten in der Mittelstraße stammen z. B. aus dieser Zeit, und so manches alte Bürgerhaus wurde umgestaltet. Auch jüdische Kaufleute und Händler trugen dazu bei, dass sich die Wirtschaft dieser Region belebte.
Die Ungleichbehandlung der Juden
1750 wurde durch Friedrich II (Friedrich der Große) eine Grundlage geschaffen, wodurch die Rechte und Pflichten der Juden erfasst wurde. Jeder Jude bekam nun eine Zugehörigkeit, diese waren in 6 Gruppen unterteilt.
Die oberste Gruppe waren die Generalprivilegierten. Dabei handelte es sich um eine sehr kleine aber reiche Gruppe, die durch Geschäftstätigkeit ihr Ansehen erlangt hatte. Diese Gruppe konnte wohnen wo sie wollte, konnte Häuser und Grundstücke erwerben. Die Kinder konnten die Eltern beerben.
Bei der zweiten Gruppe handelte es sich um „ordentliche Schutzjuden“. Sie konnten ihre Wohnung nicht selbst wählen, durften sich aber beruflich betätigen. Den Status des Geschütztseins durften sie nur auf zwei Kinder vererben. Das erste Kind musste allerdings mehr als 1.000 Taler besitzen, das zweite Kind musste 10.000 Taler vorweisen können.
Die Gruppe waren die „außerordentlichen Schutzjuden„, bei denen hatte nur eine männliche Person das Privileg sich an einem Ort aufzuhalten. Starb die betreffende Person, konnte seine Witwe mit den Kindern sofort ausgewiesen werden. Zu dieser Gruppe gehörten meist Handwerker und Ärzte.
Bei den oben genannten drei Gruppen war der Staat stets zur Stelle und zog regelmäßig Judensteuern und Abgaben ein.
Der vierten Gruppe gehörten die Beamten der jüdischen Gemeinde wie Rabbiner, Kantor, Schächter und die Lehrer an. Während ihrer Amtszeit hatten sie den Status der „außerordentliche Schutzjuden“.
Die fünfte Gruppe bestand aus den Geduldeten. Sie waren von jeglicher handwerklichen und kaufmännischen Tätigkeit ausgeschlossen und waren auch völlig schutzlos. Doch sie durften sich in eine Familie der oberen beiden Gruppen einheiraten, dazu gehören auch alle Kinder der oberen Gruppe die den Status nicht vererbt bekamen.
Die sechste Gruppe bestand aus den privaten Angestellten. Sie durften nicht heiraten und durften nur so lange bleiben, wie ihr Arbeitsverhältnis andauerte.
Wollte ein Jude die Stadt verlassen musste das durch den Magistrat der Stadt genehmigt werden. Am 05. Mai 1724 wurde durch den Nauener Bürgermeister solch ein Attest ausgestellt das folgenden Wortlaut beinhaltete: „Es wird hiermit attestiert, dass der Vorzeiger dieses Papieres Jacob Levin ist, ein Jude von 20 Jahren, mit mittelmäßiger Statur und mit schwarzen Haaren. Er hält sich beim hiesigen Schutzjuden Salomon Marcus als sein Dienstjunge auf. Er wird von demselben in zulässigen Verrichtungen gebraucht und verschickt. Und da die Schutzjuden Erlaubnis haben, Dienstboten zu halten, folglich selbiger im Lande zu sein berechtigt ist, ersuchen wir hierdurch jeden, sich dienstfreundlich dem beschriebenen Juden gegenüber zu verhalten und ihn ungehindert passieren zu lassen. Sollte er dieses Attest missbrauchen, ist mit einer harten Bestrafung zu rechnen. Beim Verlassen seines Dienstes muss es uns zurückgegeben werden.“ (Quelle: Die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer)
Diese ganzen Vorschriften führten mehr und mehr dazu, dass sich die Juden von den übrigen Bürgern abgegrenzt und sich als geduldete Außenseiter fühlten. Dadurch schlossen sich enger an die religiöse Gemeinschaft.
Das Ende der jüdischen Gemeinde in Nauen
Anfang des 20. Jahrhunderts nach dem Ende des ersten Weltkriegs war Deutschland am Boden. Eine hohe Inflation und die Weltwirtschaftskrise mit einer nie dagewesenen Arbeitslosigkeit brachten zahlreiche Menschen in äußerste Not. Die von Hitler 1925 gegründete NSDAP wusste diese Situation zu nutzen, gewann sie doch mit ihrer rassistisch geprägten Ideologie immer mehr an Boden.
Nauen, mit einer bis dahin stark von der SPD und KPD geprägten aktiven Wählerschaft, verlor immer mehr Stimmen an die Nationalsozialisten. Bei den Reichstagswahlen am 06. November 1932 erhielten die Nationalsozialisten in Nauen 2.151 Stimmen, die KPD 1.961, die SPD 1.173 und die DNVP 793. Weit abgeschlagen fanden sich das Zentrum, die Volkspartei, die Wirtschaftspartei und die Staatspartei. (Quelle: Die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer) Anfang des 20. Jahrhunderts waren einige Kaufleute, Gewerbetreibende, Ärzte und andere Bürger jüdischen Glaubens in Nauen ansässig. Anhand dieser Übersicht erfährt man eine Vielseitigkeit Tätigkeiten.
- Warenhaus Hirsch war Anfang des 20. Jahrhunderts noch Mieter im Voss’schen Haus in der Mittelstraße 33/34, bezog etwa 1909 das eigene Haus in der Mittelstraße 37, Frau Hulda Marcus war seit den 20er Jahren die Geschäftsinhaberin
- In der Mittelstraße 33/34 wohnte der Viehhändler Julius Frank.
- Buch- und Papierhandlung Paul Jankowsky in der Mittelstraße 1
- Mittelstraße 49, Möbelgeschäft Adolf Loewenthal
- Eckgebäude Berliner Straße 7, das Kaufhaus Geschwister Ploschitzki, zu dieser Zeit von Herrn Herman Laser geführt
- im gleichen Hause, Witwe Frieda Eck, geb. Gottschalk mit einer Damenschneiderei
- gegenüber, Berliner Straße 14, Leopold Zimmermann der Inhaber des Geschäftes für Kurz- und Weißwaren (B. Richter Nachfolger)
- Berliner Straße 35, die spätere „Bürgermeister Villa“, bewohnte der Kaufmann Alfred Frank (Rittergutsbesitzer und Kommissionsrat)
- Viehhändler Adolf Gottschalk wohnte in der Gartenstraße 39, später in der Goethestraße 46
- Gartenstraße 1, Fuhrunternehmen Max Bernstein (Pferdekutschen und Fuhrwerke)
- Fotoatelier Isidor Laski, Dammstraße 17
- Kaufmann Emil Homburger, Marktstraße 19 mit einem Konfektionsgeschäft
- Altstoffhandel Georg Lewinsohn, Brandenburger Straße 37
Herrmann Schiff Musikalienhandlung, Potsdamer-Str. 55 (heutige Goethestraße)
(Quelle: Die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer)
Wie geachtet diese Geschäftsleute waren, wird in einer Veröffentlichung von 1932 deutlich. Die jüdischen Kaufleute Paul Jankowsky, Leopold Zimmermann und Hermann Laser wurden als Mitglieder des Verbandes für Handel und Gewerbe erwähnt, deren Firmen in Nauen länger als 25 Jahre bestanden.
Zu dieser Zeit praktizierten auch 4 jüdische Ärzte in Nauen.
- Dr. Benjamin Hodesmann, Praxis in seinem Haus in der Dainmstraße 39 a
- Zahnarzt Lebram praktizierte in der Dammstraße 15
- Augenarzt Dr. Ernst Schmerl wohnte zu dieser Zeit in der Friedrichstr. 1 (heute Paul-Jerchel-Straße), später in der Brandenburger Straße 13
- Kinderärztin Dr. Olga Philip hatte ihre Praxis in der Hamburger Straße 4
(Quelle: Die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer)
Dr. B. Hodesmann war in dieser Zeit der Vorsitzende der Ärztlichen Abrechnungsstelle für Privatpraxis, Havelland e. V. Nauen. Zu dem Personenkreis mit jüdischer Tradition gehörte auch der ehemalige Kaufmann Albert Jacoby, der als Rentner in seinem Haus in der Mittelstraße 47 wohnte. Da die meisten der jüdischen Bürger durch ihre berufliche Tätigkeit in der Gesellschaft sehr präsent waren, konnte der Eindruck entstehen, dass sie einen hohen Bevölkerungsanteil erreicht hätten. Das war jedoch nicht der Fall. 1932 waren 13 jüdischen Familien mit insgesamt etwa 33 Personen. Selbst wenn nicht alle erfasst gewesen sein sollten, blieb ihr Anteil gering, da Nauens Einwohnerzahl 1929 immerhin auf 10.488 angewachsen war.
Das Schicksalsjahr der Juden
Als Reichspräsident Hindenburg am 30.Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler beruft nimmt das Schicksal für die seinen Lauf. Zu dieser Zeit gab es in Deutschland über 6 Millionen Arbeitslose und vielen von denen erhofften sich durch den neuen Reichskanzler eine Verbesserung der Lage. Nur so ist es verständlich, dass Hitler so viele Gefolgsleute fand die ihn bei den Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung unterstützte.
Als am 01.04.1933 die Zeitungen im ganzen Reich zum Boykott aller nichtarischen Geschäfte aufriefen, konnte die Havelländische Rundschau in der gleichen Ausgabe bereits mit einer Vollzugsmeldung aufwarten:
„Der Boykott in Nauen“ – Umzug durch die Stadt
Gestern Abend kündete ein Umzug durch die Straßen der Stadt Nauen den Beginn des heute auch hier einsetzenden Boykotts der jüdischen Geschäfte und Ärzte an. Unter Vorantritt der SS- und der SA-Reservekapelle marschierten die Nauener SA, die Motorstaffel, die SA-Reserve und Mitglieder der NSBO unter Mittführung von Transparenten, die zum Boykott der jüdischen Geschäfte aufforderten, vor einige der zu boykottierenden Geschäfte. Die Kapelle spielte dort das Lied: „Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus…“. Auf dem Rathausplatz endete der Demonstrationsmarsch. Die Teilnehmer marschierten im Kreise auf, und der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Runge, forderte in einer zündenden Ansprache zum Boykott der durch SA-Posten oder Schilder gekennzeichneten Geschäfte und Ärzte auf Vom Boykott-Ausschuß der Ortsgruppe Nauen geht uns folgender Aufruf zu: „Wir fordern hierdurch alle Einwohner von Nauen u. Umgebung dringend auf, sämtliche jüdischen Geschäfte sowie *Ärzte zu boykottieren, die wir durch SA-Posten und Plakatträger gekennzeichnet haben.“
Am 03.04.1933 informierte die gleiche Zeitung über die:
„Durchführung der Boykottaktion in Nauen Ordnungsgemäß setzte Samstagmorgen punkt 10 Uhr der Boykott der jüdischen Geschäfte in Nauen ein. Posten der SA und der SA-Reserve besetzten die Geschäftseingänge und hingen Schilder vor die Türen, die zum Boykott aufforderten! Die Vorgänge wurden vom Publikum ruhig oder beifällig, je nach Einstellung beobachtet. Die meisten der vom Boykott betroffenen Geschäfte hatten freiwillig geschlossen. Auch vor den Häusern der jüdischen Ärzte standen Posten, die durch Schilder aufforderten, sich bei deutschen Ärzten behandeln zu lassen. Irgendwelche Zwischenfälle ereigneten sich nicht.“
Die „Reichskristallnacht“ und ihre Folgen
Durch die rasant zunehmende Ausgrenzung und der damit verbundenen Perspektivlosigkeit und Gefahr verließen auch jüdische Familien Nauens ihre oft jahrzehntelange Wirkungsstätte. Meistens war es erst einmal ein Eintauchen in die Anonymität einer Großstadt wie Berlin. Wer über die Mittel verfügte, dem gelang auch noch die Ausreise, andere versuchten eine illegale Flucht. Beides bedeutete am Ende den Verlust all dessen, was sie sich erarbeitet hatten. So gab es 1938 nur noch neun jüdische Haushalte in Nauen.
Als am 07. November 1938 der deutsche Legationssekretär Ernst vom Rath in Paris von dem polnischen Juden Herschel Grynszpan ermordet wurde, organisierte der Propagandaminister Goebbels sofort ein Massenpogrom, schlimme antijüdische Ausschreitungen in ganz Deutschland.
Über die Vorkommnisse während der sogenannten „Reichskristallnacht“, stand in der Havelländischen Rundschau vom 11.11.1938 folgende Veröffentlichung:
Antijüdische Kundgebungen im Osthavelland
„Die berechtigte Entrüstung über die jüdische Untat an dem jungen deutschen Diplomaten vom Rath in Paris hat gestern auch im Kreise Osthavelland zu starken antijüdischen Kundgebungen geführt. In Nauen wurden in den Mittagsstunden die Schaufenster der beiden noch vorhandenen jüdischen Geschäfte eingeschlagen und die Ladeneinrichtungen demoliert. Selbstverständlich sind die Waren unangetastet geblieben. Weiter sind die Synagoge in der Potsdamer Straße und die Räume der anderen in Nauen wohnhaften Juden durch die allgemeine Empörung in Mitleidenschaft gezogen worden…“
Genaueres erfährt man da schon in einem Bericht des Polizeimeisters in Nauen vom 11. November:
„Die Empörung der hiesigen Bevölkerung über den jüdischen Mord an einem deutschen Diplomaten in Paris hat sich am gestrigen Tage auch in Nauen Luft gemacht“
Dann folgte in einem Vermerk des Polizeimeisters eine Liste mit zehn Anschriften von Geschäften und privaten Wohnräumen, die demoliert wurden:
1. Synagoge Potsdamer Straße
2. Zahnpraxis Lebram, Adolf-Hitler-Straße
3. Geschäft der Geschwister Laski, Adolf-Hitler-Straße
4. Augenarzt Schmerl, kleine Dachwohnung
5. Geschäft Homburger, Marktstraße 10
6. Haus Homburger, Am Ritterfeld 22
7. Schiff Geschäfts- und Wohnraum, Potsdamer Straße
8. Gottschalk, Wohnraum, Potsdamer Straße
9. Frl. Dr. Philipp, Wohnraum, Hamburger Straße
10. Frau Eck, Wohnraum, Berliner Straße 7″
Zwei Straßennamen entsprechen nicht der heutigen Bezeichnung. Die Adolf-Hitler-Straße wurde in Dammstraße umbenannt. Die Potsdamer Straße ist die heutige Goethestraße.
(Quelle: Die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer)
In einer anderen Erklärung des Polizeimeisters erfährt man, dass zehn Juden männlichen und weiblichen Geschlechts am gleichen Tag verhaftet und bis auf eine Person nach einigen Stunden wieder freigelassen wurden. Die nicht gleich wieder auf freien Fuß gesetzte Person war der Leiter der jüdischen Gemeinde in Nauen, der Kaufmann Emil Homburger, der laut eingereichter Vermögenserklärung als „vermögender Jude“ galt.
In Nauen fanden sich damals genügend Mitglieder der SA, der SS und der ihnen angeschlossenen Organisationen, die dem Aufruf des Propagandaministers folgten und in übler Weise das Eigentum der jüdischen Mitbürger zerstörten, sie persönlich angriffen und dem Gespött grölender Mitläufer preisgaben. Kaum jemand wagte es, diese Untaten beim Namen zu nennen. Die Angst, sich selbst in Gefahr zu bringen, ließ die meisten Menschen zu stummen Zeugen werden. Anfang Dezember berichtete sogar der Bürgermeister dem Landrat: „Die Art des Vorgehens gegen die Juden fand bei dem größten Teil der Bevölkerung kein Verständnis. Verurteilt wurde das Beschädigen und Vernichten von Wertgegenständen. Besonders verärgert waren die Volksgenossen über die Zerstörung der Wohnungseinrichtung bei einer ärmlichen Familie, in welcher der Ehemann Jude und die Ehefrau deutschblütig ist“
Mit der am 03.12.1938 erlassenen Verordnung über den Zwangsverkauf (entschädigungslos Zwangs – „Arisierung“) jüdischer Geschäfte, Betriebe, Land-, Forst- und Grundeigentums wurde auch den letzten Geschäftsleuten die Existenzgrundlage entzogen. Jegliche Präsenz jüdischen Geschäftslebens wurde aus dem Bild der Städte verbannt. Die Verordnung über den Zwangsverkauf verschaffte der Stadt auch die Möglichkeit, die beiden Grundstücke der jüdischen Gemeinde zu erwerben.
Am 1. März 1939 musste Herr Homburger, als letztes noch hier wohnendes Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde, den Kaufvertrag über das Grundstück mit der Synagoge abschließen. Dass die Synagoge in der „Reichskristallnacht“ nicht angezündet wurde, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass sie direkt neben dem Gebäude des Sattlermeisters Max Wendt stand, einem stadtbekannten SS-Führer. Das Gelände des jüdischen Friedhofes musste 01. März 1939 für 100,00 RM an die Stadt abgetreten werden.
>>> Hier zu Schicksal der Familie Homburger – Teil 2 – Wer waren die Homburgers
>>> Hier zu Schicksal der Familie Homburger – Teil3 – Das Unheil nimmt seinen Lauf
>>> Hier zu Schicksal der Familie Homburger – Teil4 – Flucht nach Bolivien
Quellennachweis:
Aus der Geschichte der Stadt Nauen – Die ehemalige Jüdische Gemeinde von Ursula Arzbächer
- Führer durch die Kreis- und Funk-Stadt Nauen / Baldus Ferdinand
- Geschichte von Nauen und Osthavelland / Ernst Georg Bardey
- Boykott-Entrschnung-Pogrom-Deportation Die „Arisierung“ jüdischen Eigentums während der NS-Zeit-Studien und Dokumente / Irene Diekmann
- Juden in Spandau vom Mittelalter bis 1945 / Alois Kaulen und Joachim Paul
- Herr Moses in Berlin / Heinz Knobloch
- Brandenburg-Preußen 1648 – 1789 / Max Oppenheimer, Horst Stuckmann und Rudi Schneider
- Wanderungen und Fahrten in der Mark Brandenburg 6 / Hans Scholz
- Kurze Geschichte der Stadt Nauen / C.F.F. Tiebel
- Osthavelländisches Kreisblatt
- Havelländischen Rundschau
- Märkische Allgemeinen Zeitung
- Stadtarchiv und Museum der Stadt Nauen