In Nauen herrschte seit der Übertragung des Stadtprivilegs das Brandenburgische Recht, das dem Magdeburger Stadtrecht nachgebildet war. Es sicherte dem Patriziat, das waren die reichsten Grundbesitzer und Kaufleute der Stadt, eine gewisse Selbständigkeit der Verwaltung gegenüber den Landesherren. Bis in das 17. Jahrhundert oblag die Stadtherrschaft etwa 10 Ratmannen. Von diesen 10 Personen hatten jeweils 5 die regierende Gewalt in der Stadt. Sie nannten sich „der sitzende Rat“. Die anderen 5 Ratmänner bildeten einen sogenannten „alten Rat“, der nur beratende Stimme hatte. Beide Gruppen wechselten sich jährlich in der Regierung der Stadt ab.

Die Übertragung des Stadtregiments von der „sitzenden Rat“ auf den „alten Rat“ wurde die Ratswechselung genannt. Der Rat hatte folgende Befugnisse:

  • Verwaltung der Einkünfte der Stadt nach Gutdünken (für gut halten / eine Kontrolle gab es nicht)
  • die Unterhaltung der Polizei
  • die Instandhaltung der Befestigungsanlagen
  • die Kontrolle des Innungswesens
  • Bestrafungen
  • Verhandlungen mit dem Landesherren
  • Gesetzgebung (solche Gesetze hießen Willküren)

In wichtigen Dingen ließ der Rat „Burding läuten“, wo die Bürgerschaft zu einer „Bursprache“ vor dem Rathaus zusammenkam, um ihre Meinung zu wichtigen Beschlüssen des Rates zu äußern. Da es hierbei oft zu Kämpfen zwischen Patriziern und Handwerkern bzw. Ackerbürgern kam, wurde von kurfürstlicher Seite schon im Jahre 1488 verordnet, dass diese „Bursprachen“ in der Weise einzuschränken sind, dass künftig nur die Vertreter der 4 wichtigsten Gewerke – das waren die Fleischer, Gewandschneider, Schuhmacher und Bäcker – zusammenkommen durften.

Im Jahre 1429 erhielt Nauen ein Schulzengericht. Es wurde den beiden Mitgliedern des Stadtrates Kyn und Tappert verliehen. Da diese beiden in ihrer Funktion als Stadtrichter nunmehr kurfürstliche Beamte geworden waren, aber gleichzeitig auf Entscheid des Markgrafen Johann im Stadtrat verblieben war der Einfluss des Landesherren auf die Stadt, wenn auch unter Protest der Stadtväter, gesichert. Das Leben der einfachen Nauener Bürger war nicht leicht. Neben den üblichen Steuern für Reichs- und Landesherren musste jeder Bürger zusätzlich noch an Steuern zahlen für Polizeischoß, Servicekasse für Einquartierung, Schulkollegentisch und Nachtwächtergeld. Daneben wurden die Bürger zu solchen Diensten wie Wachten am Stadttor, Jagdlaufen usw. verpflichtet.

Über die Zusammensetzung der Einwohner der Stadt gibt das Urbarium der Stadt Nauen Auskunft: Danach waren im Jahre 1705 88 Großbürger, 207 Kleinbürger und 44 Einlieger anwesend. Unter den Großbürgern waren 72 Brauer, die gleichzeitig das Stadtregiment ausübten und die größten Grundbesitzer der Stadt waren. Das von ihnen gebraute Bier hieß „Ziesenelle“. Der Name kommt sicher von der Bierziese, die im Jahre 1488 eingeführt wurde. Seit dieser Zeit musste von jeder Tonne Bier 12 Pfennig Biersteuer abgeführt werden. Das war eine recht profitable Einnahmequelle für die brandenburgischen Herrscher. Es ist übrigens bezeichnend, daß die Junker auf den Dörfern von der Bierziese befreit waren. Die Nauener Brauer hatten ein großes Absatzgebiet. 22 Dörfer der Umgebung mussten von dem Nauener Bier trinken. Das Bier scheint aber nicht von besonderer Qualität gewesen zu sein, denn ein alter Spottvers sagt:

„Ziesenille. Wers trinkt, der liegt drei Tage stille.“

Wenn vorher von einer gewissen Selbständigkeit des Nauener Stadtregiments in seinen Entscheidungen gesprochen wurde, so wurde dieses Recht im 17. Jahrhundert durch die preußischen Herrscher immer mehr eingeschränkt. Jedoch zeigten die Nauener Stadtväter wenig Lust, diese Einschränkung der Freiheit anzuerkennen, und sie kamen deshalb mehrfach mit der höchsten königlichen Instanz in Konflikt. Nachdem der Stadtrat schon 1759 vom König eine Rüge einstecken musste, weil er eigenmächtig einen neuen Bürgermeister einsetzen wollte, lud er ein Jahr später erneut den Zorn des vom König beauftragten Steuerrates von Below auf sich. Wiederum eigenmächtig besetzten die Nauener die freigewordene Richterstelle mit einem Kammergerichtsreferendar Gravius. Folgendes Schreiben des Rates von Below traf beim Magistrat daraufhin ein:
„ … jemand, der sich Gravius, Kandidat en droits bei dem Geographo H. Rhode, nennt, hat unter dem 14. hujus aus Berlin mir gemeldet, dass ihn Magistratus zu Nauen einmütig zum Konsul dirigenti erwählet. Ich kenne diesen Mann nicht und lasse dessen Charakter dahingestellt sein. Indessen befremdet mich das Betragen des Magistrats hierunter nicht wenig, umso mehr als derselbe zur zweiten Wahl ohne eine Königliche Order, und ohne mich hiervon das geringste wissend zu machen, geschritten ist, da demselben doch unstreitig bekannt sein muss,  … dass die Besetzung zu meinem Ressort gehört … Allein das bezeigte Verfahren des Magistrats hierunter soll mir unvergesslich bleiben, und ich werde höheren Ortes das gegen mich bewiesene nachteilige Betragen hinlänglich zur Erörterung suchen, auch Beahndung desselben mehr denn lebhaft erbitten.“
Dieses Schreiben schüchterte den Magistrat der Stadt derartig ein, dass er den gewählten Gravius sofort entließ, und dass die Stadt sich mehr und mehr diesem Schlag gegen die Städtefreiheit fügte.

Erst die Stein’sche Städteordnung brachte der Stadt wieder eine gewisse Freiheit in der Verwaltung. Sie wurde am 3.8.1809 eingeführt. Die Bürger konnten sich nun, allerdings nach dem Dreiklassenwahlsystem, alle 6 Jahre eine Stadtverordnetenversammlung wählen. Der Magistrat (Ratsherren und Stadträte) wurde von der Stadtverordnetenversammlung gewählt. An der Spitze des Magistrats stand der Bürgermeister, dem auch die Ortspolizeibehörde untergeordnet war. Das Stadtgericht wurde durch diese Verordnung völlig vom Magistrat getrennt. Weitere Vorteile erhielt das Nauener Bürgertum in dieser Zeit durch die Freigabe des Gewerbebetriebes außerhalb der Zünfte, die Ausdehnung der Gewerbefreiheit von der Stadt auf das Land und durch die Aufhebung der Torakzise im Jahre 1818.

Über die Lage der einfachen Ackerbürger und über die anderen ärmeren Schichten der Nauener Bevölkerung erfahren wir bei den bürgerlichen Historikern wenig. Das ist auch gar nicht verwunderlich, denn man kann von ihnen nicht erwarten, dass sie ihre eigene Klasse bloßstellen. Auch die Klassenkämpfe in Nauen muss man Bardey z.B. zwischen den Zeilen förmlich abringen. So kam es beispielsweise bei der von den preußischen Königen seit 1766 verfügten Ackerseparation, die sich fast über 100 Jahre hinzog, in Nauen mehrfach zu scharfen Auseinandersetzungen. In einer Reisebeschreibung aus dem Jahre 1780 finden wir bei einem gewissen Büching, auf den auch Bardey zurückgreift, einige Bemerkungen über die Lage der Nauener Ackerbürger zur Zeit der Ackerseparation.

Nach der Trockenlegung des Luches war ein Teil der Luchwiesen noch „gemeine Weide“ geblieben, die jedem Bürger für sein Vieh zur Verfügung stand. Diese sogenannten Gemeinheiten wurden 1766 aufgehoben mit der Maßgabe, dass jedes Bürgerhaus noch einmal so viel Weide bekam, wie es bereits hatte. Das heißt, jede große Bürgerstelle bekam 6 Morgen, und jede kleine Bürgerstelle bekam 3 Morgen Wiesen. Trotz des Unterschiedes waren die Gespannhalter nicht zufrieden und begannen einen Prozess und beklagten sich, dass sie gegenüber den Bürgern, die keine Gespanne hatten, zu kurz gekommen seien. Das ist erklärlich, denn zur Zeit der Allmende tummelte sich eben auf der „Gemeinheit“ vorwiegend das Vieh der großen Besitzer. Der Prozess endete auch mit einem Vergleich, nach dem sich die kleinen Ackerbürger ohne Gespann bereit erklärten, den dritten Teil der soeben erhaltenen Wiesen wieder in eine „Gemeinheit“ zurückzugeben. Aber auch darauf ließen sich die Gespannhalter nicht ein. Sie stürmten einfach die Koppeln, zerstörten die Gehege und nahmen von den Wiesen Besitz. Der Magistrat stellte sich natürlich auf die Seite der „Großen“. Er ließ kurzerhand die Stadttore schließen, damit die kleinen Ackerbürger ihren Besitz nicht verteidigen konnten. Angeblich geschah das natürlich, um ein Blutvergießen zu verhindern. Diese Streitigkeit zog sich noch lange hin und kam schließlich zum König Friedrich II. Als die Ackerbürger einen Sprecher zum König vorgeschickt hatten, speiste ihn Friedrich mit folgenden Worten ab: „Aha, Ihr seid aus Nauen, Euch kenne ich schon. Ihr seid Krakeeler. Macht ja, dass Ihr nach Hause kommt!“
Die Nauener Ackerbürger erkannten sehr bald, dass ihre Stärke nur in einem gemeinsamen Vorgehen und Handeln zur Verteidigung ihrer Interessen liegen kann. Sie gründeten daher im Jahre 1773 eine Koppelkommune. Diese Vereinigung kleiner Ackerbürger bestand noch in den ersten Jahren des 19.Jahrhunderts und setzte sich dann für die Erhaltung der Wege zu ihren Ackern und Koppeln im entlegenen Luch ein. Alte Nauener berichten auch, dass diese Koppelkommune ihren eigenen Hirten hatte, der das Vieh der Ackerbürger beaufsichtigte.

Ein realistisches Bild von der Unterdrückung der Nauener Stadtarmut gibt uns eine Skandalgeschichte, die uns Bardey überliefert hat. Im Jahre 1812 war in Nauen folgendes geschehen:
Der Ackerknecht Joachim Mewes heiratete am 22.6.1812 die Dienstmagd Charlotte Buge. Nach dem Aufgebot der beiden Brautleute erhielt der Pfarrer, Superintendent Tiebel, plötzlich ein Schreiben des Magistrats, in dem der Magistrat die Heirat verbot. Dabei stellte sich heraus, dass die Magd im Hause des Stadtrichters Haase diente, der beide Brautleute schon während des Aufgebotes durch den Gerichtsdiener mit 20 Streichen hatte strafen lassen, weil das Aufgebot ohne Einwilligung des Brotherrn der Magd geschah. Der Pfarrer nahm aber nach Anhören des Kammergerichtes die Trauung am 22.6. trotzdem vor. Als das Brautpaar die Kirche verließ, versuchten nun die Gerichtsdiener, die jungen Eheleute von der Straße weg zu verhaften. In dem darauf entstandenen Handgemenge gelang es dem Brautpaar, ins Pfarrhaus zu entfliehen, wo sie zunächst sicher waren. Doch auch dem Pfarrer gelang es nicht, die jungen Leute länger dem Zugriff der Polizei zu entziehen, zumal er schon für sein mutiges Eintreten für das Brautpaar einen Tadel vom Bürgermeister einstecken musste. Die Braut wurde verhaftet und in einen Keller gesperrt. Erst einen Tag später erhielt sie ihre Freiheit wieder, nachdem der Bräutigam inzwischen eine Beschwerde an die Regierung losgelassen hatte. Der Ackerknecht Mewes soll danach erzählt haben, dass ihn Herr und Frau Stadtrichter Haase haben rufen lassen und ihn aufs dringendste gebeten hätten, die Anklage bei der Regierung zurückzuziehen, worauf sie ihm noch 50 Taler Bestechungsgeld geboten haben, womit er sich auch habe besänftigen lassen.

Diese an die Leibeigenschaft erinnernde Untertänigkeit hat sich sehr lange gehalten. Noch in den Gerichtsakten vom 21.8.1889 finden wir einen Prozess gegen den Dienstknecht W., der zu 3 Mark Strafe verurteilt wurde, weil er den Dienst beim Ackerwirt Nißel verlassen hatte, da er von seinem Dienstherrn schlecht behandelt wurde. Erst die Demokratische Bodenreform im Jahre 1945 konnte auch in Nauen dieses alte Unrecht wieder gutmachen. Dabei wurden in Nauen insgesamt 3 Großgrundbesitzer mit zusammen 509 Hektar Land enteignet und den kleinen und landlosen Bauern sowie den Umsiedlern übergeben. Wo früher von diesen 509 Hektar Land etwa 10 Menschen ihren Profit zogen, lebten nun auf dem gleichen Land über 300 Menschen. Ein großer Teil der Neubauern hatte sich dann der LPG „Deutsch- Sowjetische Freundschaft“ angeschlossen.

Quelle: Aufzeichnungen Fritz Warncke († 2017)