8. Teil aus der Reihe „Die Eisenbahn in und um Nauen

Bahnhof Nauen mit Omnibus um 1930
Bahnhof Nauen mit Omnibus um 1930

Bis zum Jahr 1915 entwickelte sich der Bahnhof Nauen immer mehr zum Eisenbahnknotenpunkt im Osthavelland. Der Personen- und Güterverkehr nahm zu und verursachte an der durch Schranken gesicherten niveaugleichen Kreuzung mit der Dammstraße direkt im Bahnhofsbereich unerträgliche Behinderungen für den Straßenverkehr. Es wurde daher die Höherlegung des Staatsbahnhofs (bei gleichzeitiger Erweiterung) beschlossen. In den Jahren 1912 bis 1917 führte man umfangreiche Dammaufschüttungen über einen Bereich von etwa 2.600 m unter Aufrechterhaltung des Bahnbetriebs durch, so dass ab 1918 ein kreuzungsfreier Betrieb über die Dammstraße möglich wurde. Die Sandmassen transportierte eine Lorenbahn aus den Rollbergen heran. Für diese Arbeiten wurden auch französische Kriegsgefangene eingesetzt.

Bahnhof Nauen Bahnsteige A und B nach 1918
Bahnhof Nauen Bahnsteige A und B nach 1918

Mit der Dammanlage ergaben sich fünf Brücken- und ähnliche Bauwerke. Auf dem neuen Damm kamen einschließlich der 2 Bahnsteige (A und B) 13 parallele Gleise zu liegen, die von drei Stellwerken der Staatsbahn (Nwt, Nau und Not) gesteuert wurden. Die OHKB erhielt für ihre ebenerdigen neuen sieben (!) Aufstell- und Übergabegleise ein eigenes Stellwerk (Nmt).

Vorortzug von Berlin nach Nauen 1930er Jahre
Vorortzug von Berlin nach Nauen 1930er Jahre

Die neuen Anlagen wurden so konzipiert, daß auch eine neue Betriebswerkstatt all jene Lokomotiven aufnehmen konnte, die nun für die zahlreichen Aufgaben erforderlich waren. Von 1914 bis 1946 hatte Nauen sogar ein eigenständiges Bahnbetriebswerk (ab 1946 Lokbahnhof), das gemeinsam mit dem Bw Lehrter Bahnhof in Berlin für alle Zugdienste auf der „dampfbetriebenen S-Bahn-Strecke“ zwischen diesen beiden Stationen verantwortlich war. Im Jahre 1943 hatte das Bw Nauen 129 Beamte, Angestellte und Arbeiter sowie 14 Fremd- bzw. Zwangsarbeiter.

Güterbahnhof Nauen 1926
Güterbahnhof Nauen 1926

Eine große Veränderung bzw. Erweiterung erfuhr der Güterbahnhof. Bis 1917 befand sich entlang der Dammstraße und damit genau im rechten Winkel zur Bahntrasse ein großer Güterschuppen sowie südlich des Empfangsgebäudes ein mehrständiger Lokschuppen. Beide Funktionsgebäude waren nur über eine Drehscheibe unmittelbar neben dem Bahnübergang zu erreichen. Diese betriebstechnisch hinderliche Situation fand mit der Dammanlage ein Ende. Der gesamte Güterverkehr wurde nun auf die Nordseite des Damms verlegt, bekam dort einen stattlichen Güterschuppen mit zweigeschossigem Verwaltungsgebäude und Anschlussgleise u.a. zur städtischen Gasanstalt und zur Firma Seifen-Hahn.

Gleisplan um 1950
Gleisplan um 1950 / Quelle: Sammlung Ebert

Im Gegenzug dazu wanderte die sogenannte Töpferbahn Nauen-Velten von der Nordseite auf die Südseite des Damms und erhielt einen gemeinsamen Bahnsteig (C) mit der Ketziner Bahn. Mit einem eigenen neu errichteten Eingangsgebäude zu diesem Inselbahnsteig repräsentierte die OHKB (ab 1941 OHE), die beide Strecken betrieb, ihr kleines Reich im Schatten des großen Staatsbahnhofs, der nach Umbau einen direkten Bahnsteigtunnel vom ebenerdig gelegenen Empfangsgebäude zu den Bahnsteigen hoch oben auf dem Damm erhielt.

Bereits seit 1910 prägte der am Dammfuß hochaufragende vergrößerte Wasserturm in Massivbauweise (Ziegel- und Putzflächen; halbzwiebelförmige Dachhaube) das neue Nauener Bahnhofsbild.

Bahnhof Nauen Wartesaal vor 1945
Bahnhof Nauen Wartesaal vor 1945

Nach diesen umfangreichen Um- und Ausbauten hatte Nauen einen Bahnhof erhalten, der allen Anforderungen an einen modernen Eisenbahnverkehr gerecht wurde. Wartesäle, Fahrkartenschalter, Gepäckaufbewahrung, Gastwirtschaft und vieles mehr erwarteten die Reisenden. Sogar eine Stadtbuslinie verkehrte zwischen Rathaus und Bahnhof. 1920 übernahm die Deutsche Reichsbahn den Staatsbahnhof und die dazugehörigen Anlagen. Unter ihrer Regie wurden in den 1930er Jahren die Bahnsteige A und B als Vorleistung für einen späteren elektrischen S-Bahn-Betrieb aus/in Richtung Berlin erhöht. Dazu kam es bis heute nicht! Kleine Notiz am Rande: ein Zug ganz besonderer Art fuhr, oder besser zischte, ab 15.05.1933 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch den Bahnhof Nauen – der Dieselschnelltriebwagen DR 877, besser bekannt als  „Fliegender Hamburger“.  Der Triebzug, cremefarben und violett lackiert, hatte 98 Sitzplätze in zwei Großraumwagen-Abteilen und absolvierte die 286 km lange Strecke zwischen Berlin und Hamburg in 138 Minuten, eine Zeit, die erst 64 Jahre später im Juni 1997 von einem ICE-Zug der Deutschen Bahn AG mit 132 Minuten unterboten wurde.

Autor: Uwe Ulrich

Hier zum 9. Teil – Die Katastrophe in Nauen

Hier zum 1. Teil – Die Eisenbahn in und um Nauen

Hier zum 2. Teil – Der Ursprungs-Bahnhof

Hier zum 3. Teil – Die Kleinbahnen

Hier zum 4. Teil – Von Nauen nach Velten mit der Töpferbahn

Hier zum 5. Teil – Nauen – Wildpark – Umgehungsbahn

Hier zum 6. Teil – Nauen – Oranienburg – nördliche Umgehungsbahn

Hier zum 7. Teil – Mit der stillen Pauline von Nauen nach Rathenow