10. Teil aus der Reihe „Die Eisenbahn in und um Nauen
Obwohl die Kriegsschäden am Bahnhof und den Bahnanlagen erheblich waren, konnte der Zugverkehr auf sämtlichen Strecken binnen kurzer Zeit nach Kriegsende wieder aufgenommen werden. Als erstes ging die Osthavelländische Eisenbahn AG (OHE) wieder an den Start. Bereits im Mai 1945 fuhren wieder Züge nach Ketzin und Velten. Da der Kleinbahnhof aber noch zerstört war, endete der Zug aus Ketzin vorerst in der Station Nauen Berliner Straße und der Zug aus Velten in der Station Nauen Stadtforst. Es waren jedoch nur Güterzüge mit hauptsächlich landwirtschaftlichen Erzeugnissen, um die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten. Erst ab August 1945 fuhren auch wieder Personenzüge nach Ketzin – immer am Montag, Mittwoch und Freitag.
Reisende, die nach Kremmen oder Oranienburg wollten, mussten in den ersten Wochen nach Kriegsende auf der westlichen Seite der Dammstraße auf ihren Zug warten, da die Anlagen am Hauptbahnhof und die Bahnbrücken noch zerstört waren.
Im August 1945 wurde auch der dampfbetriebene Vorortverkehr von Spandau-West nach Nauen wieder aufgenommen. Allerdings nur eingleisig, denn das zweite Gleis der Hamburger Bahn zwischen Berlin-Jungfernheide und Schwanheide (Grenze der sowjetischen Besatzungszone) wurde zu Reparationszwecken abgebaut. Das gleiche Schicksal ereilte dem zweiten Gleis der sogenannten Umgehungsbahn zwischen Nauen und Wustermark.
Der verheerende Bombenangriff auf den Bahnhof Nauen im April 1945 verursachte auch bei der Kreisbahn Rathenow-Senzke-Nauen (RSN) beträchtliche Schäden an Gleisen und Waggons. Deshalb wurden noch vor dem Anrücken der Roten Armee sämtliche Personenwagen, die meisten Güterwagen und drei Loks in Rathenow zusammengezogen. Größere Mengen an Reserveschienen vergrub man in Senzke. Das alles wurde aber nach dem Krieg der RSN zum Verhängnis. Im Juli 1945 fuhr die Bahn zwar wieder ab Rathenow, kam aber nur bis Kotzen, denn die Brücke über den Havelländischen Hauptkanal war in den letzten Kriegstagen noch gesprengt worden. Ab August 1945 wurden jedoch die Schienen auf diesem Streckenabschnitt, drei Loks und 44 Personenwagen als Reparationsleistung in die Sowjetunion verbracht. Die weitere Demontage konnte zwar gestoppt werden aber ein Wiederaufbau dieses Teils kam nie wieder zustande. Stattdessen konzentrierten sich die Landräte des Ost- und Westhavellandes auf den Abschnitt Nauen-Kriele. Eine Brücke zwischen Pessin und Senzke konnte relativ schnell wieder repariert werden und ab dem 09. Februar 1946 fuhr die Stille Pauline wieder auf diesem Streckenabschnitt der RSN.
Am 01.04.1949 wurden alle nichtreichsbahneigenen, aber dem öffentlichen Verkehr dienenden Eisenbahnen in der sowjetischen Besatzungszone von der Deutschen Reichsbahn übernommen. Damit verloren OHE und RSN ihre Eigenständigkeit und waren administrativ aufgelöst.
Im Laufe der Zeit konnten die Züge wieder an den Bahnsteigen A und B (Hauptbahnhof) und C (Kreisbahnhof) halten, wenn auch keine Empfangsgebäude mehr vorhanden waren. Trotz Provisorien wurde Nauen wieder Eisenbahnknotenpunkt im Landkreis Osthavelland (ab 1952 Kreis Nauen). Beide Bahnhöfe erhielten provisorische Holzbaracken als Funktionsgebäude. Der ursprüngliche Postschuppen, der den Bombenangriff halbwegs überstanden hatte, übernahm nun die Funktion einer Fahrkartenausgabe, einer Expressgutannahme und einer Fahrradaufbewahrung. In einer einfachen Holzbaracke am Eingang zum unteren Kreisbahnhof waren ein Ausbildungsraum für Lehrlinge der Deutschen Reichsbahn und ein Wachraum der Transportpolizei untergebracht. In Ermangelung eines Bahnhofsrestaurants errichtete die Mitropa in den 1950er Jahren eine große Baracke auf dem Bahnhofsvorplatz. Diese war besonders in den Wintermonaten nicht nur für wartende Reisende ein beliebter Aufenthaltsort. Als das Areal vor dem Bahnhof in den 1970er Jahren zum Busbahnhof umgestaltet wurde, musste sie leider weichen, was sehr bedauert wurde.
Die Nauener erreichten wieder alle Vorkriegsziele mit der Bahn. Nur wer nach Rathenow wollte, musste nun mit der Ketziner Bahn bis nach Röthehof fahren und dort umsteigen. Aber auf dem verbliebenen Teilstück der RSN erfreute sich die Stille Pauline größter Beliebtheit, sodass der Zugverkehr verdichtet werden musste. Bereits ab 1952 verkehrten täglich zwei Zugpaare auf der Strecke Nauen-Kriele, die ab 1953 sogar mit einem dritten Paar auf dem Abschnitt Nauen-Senzke-Nauen verstärkt wurde.
Ganz besonders müssen sich die Nauener gefreut haben, als am 14. August 1951 der elektrische S-Bahnbetrieb von Spandau-West nach Falkensee aufgenommen wurde. Nun konnte man noch schneller nach Berlin, insbesondere ins Kino nach Westberlin, fahren. Diese Freude währte aber nur 10 Jahre! Ab dem 13. August 1961 war Westberlin gar nicht mehr und Ostberlin nur nach 2-stündiger Fahrtzeit über den Berliner Außenring zu erreichen. Nachdem diese Umfahrung Ende der 1950er Jahre fertiggestellt wurde, verlagerte sich auch der gesamte Güterverkehr von den Radialstrecken auf den Ring um Berlin. Die Umgehungsbahnen Jüterbog-Wildpark-Nauen und Nauen-Kremmen-Oranienburg verloren an Bedeutung und wurden nur noch im Bedarfsfall genutzt, von kleinen Fahrten mit dem Schienenbus, im Volksmund auch Ferkeltaxe genannt, mal abgesehen. Am 30. April 1996 wurde auch die Verbindung Wustermark–Bredow–Nauen stillgelegt.
Außerdem wurden in den 1960er Jahren unrentable Eisenbahnstrecken verstärkt unter die Lupe genommen, sodass eine Kleinbahnstrecke nach der anderen stillgelegt werden mußte. Die Personenbeförderung übernahmen dann Omnibusse auf sogenannten „Schienenersatzverkehrslinien“, im Berufsverkehr auch mit Busanhängern. Ende der 1960er Jahre las man in den Fahrplänen der Deutschen Reichsbahn immer öfter: „Reiseverkehr eingestellt, Beförderung durch den Kraftverkehr“!
Trauriges Ende:
Nauen – Senzke – Kriele : Personenverkehr 24. Januar 1961 / Güterverkehr 01. April 1961
Nauen – Bötzow – Velten: Personenverkehr 08. Dezember 1963 / Güterverkehr 31. Mai 1964
Nauen – Röthehof – Ketzin: Personenverkehr gesamte Strecke und Güterverkehr ab Nauen Berliner Straße bis Röthehof 22. Mai 1966 / Anschlussgleise in Nauen und Infrastruktur Neugarten – Ketzin noch vorhanden (2021)
Nauen – Kremmen – Oranienburg: Personenverkehr 23./27.05.1969 / Güterverkehr 1993 bis 1996
Damit wurde der Eisenbahnknotenpunkt Nauen Stück für Stück demontiert bis er nur noch einfacher Durchgangsbahnhof an der Strecke Albrechtshof/Falkensee – Nauen bzw. Nauen – Wittenberge wurde. Immerhin bekam der Streckenabschnitt Brieselang – Nauen – Friesack im Jahre 1979/1980 endlich wieder ein zweites Gleis zurück und 1983 wurde die Strecke Albrechtshof – Nauen elektrifiziert. Mit der Inbetriebnahme elektrischer Weichenheizungen im Jahre 1987 entfiel auch die Notwendigkeit des Betriebes einer Heizlok und da inzwischen immer mehr Diesel- und Elektrolokomotiven im Einsatz waren, war eine Lokwasserversorgung nicht mehr notwendig. Deshalb wurde der Wasserturm, der seit August 1910 das Bahnhofsbild bestimmte, nach 77 treuen Dienstjahren am 28. Oktober 1987 gesprengt.
Autor: Uwe Ulrich
Hier zum 11. Teil – Bahnhof Nauen nach der Wende
Hier zum 1. Teil – Die Eisenbahn in und um Nauen
Hier zum 2. Teil – Der Ursprungs-Bahnhof
Hier zum 3. Teil – Die Kleinbahnen
Hier zum 4. Teil – Von Nauen nach Velten mit der Töpferbahn
Hier zum 5. Teil – Nauen – Wildpark – Umgehungsbahn
Hier zum 6. Teil – Nauen – Oranienburg – nördliche Umgehungsbahn
Hier zum 7. Teil – Mit der stillen Pauline von Nauen nach Rathenow