11. Teil aus der Reihe „Die Eisenbahn in und um Nauen
Der politischen Wende im November 1989 folgte bald darauf die wirtschaftliche Wende. Die Folgen für die Eisenbahn waren ein drastischer Rückgang des Güterverkehrs und die Schließung vieler Anschlussbahnen und -gleise, auch in Nauen. So wurde der größte werkseigene Anschlussbahnhof Nauens, der Werkbahnhof der Zuckerfabrik, nach der letzten Rübenkampagne 1992 und der endgültigen Schließung des Werks im März 1993 gegenstandslos. Die im Jahre 1889 gegründete Zuckerfabrik Nauen war Initiator und Geldgeber für den rasanten Ausbau der Eisenbahn in der Region. Ihr sind die Strecken nach Ketzin und Rathenow maßgeblich mit zu verdanken. Heute sind Werk und Strecken nur noch Geschichte.
Aber die neue Zeit brachte auch neue Arbeitgeber in die Stadt. So ist dem Haushaltsgerätewerk Bosch-Siemens zu verdanken, dass wieder ein Anschlussgleis verlegt und bedient wird. Damit behält der ehemalige Kleinbahnhof mit seinen Abstell- und Übergabegleisen bis heute seine Funktion, wenn auch in bescheidenem Ausmaß. Den Charme von einst wird dieses Areal wohl nie wiederbekommen, nachdem im Frühjahr 2011 auch der Triebwagenschuppen der Osthavelländischen Kreisbahnen und das Stellwerk Nmt der Abrissbirne zum Opfer fielen. Aber die Verwaltungsgebäude in der Berliner Straße Nr. 113 (Direktionsgebäude), Nr. 115 (Bahnhofsdienstgebäude) und Nr. 111 (Angestelltenwohnhaus) konnten für die Nachwelt gerettet werden und stehen heute unter Denkmalschutz.
Im Rahmen des „Verkehrsprojektes Deutsche Einheit Schiene Nr. 2“ wurde die Fernbahnstrecke Berlin – Hamburg in den Jahren 1993 bis 1997 ausgebaut. In diesem Zusammenhang erfuhr auch der Bahnhof Nauen eine Modernisierung, da die Streckengleise für Geschwindigkeiten bis 200 km/h quasi neu verlegt werden mussten. Das ehemalige Hauptstellwerk „Nau“ direkt neben der Dammstraßenbrücke stand diesem Streckenneubau jedoch im Wege und wurde abgerissen. Außerdem wurde eine Trasse für den Bau einer S-Bahn-Verbindung Berlin–Falkensee–Nauen freigehalten. Ob dieser Traum aus den 1930er Jahren jemals verwirklicht wird, ist fraglich.
Aber ein anderer Traum versprach Wirklichkeit zu werden. Sollte Nauen nach fast 50 Jahren tatsächlich wieder ein repräsentatives Empfangsgebäude bekommen? Der damalige Alt-Bürgermeister Werner Appel legte in einer feierlichen Zeremonie sogar einen Grundstein für ein neues Gebäude. Dabei blieb es aber auch! Ein Gebäude folgt leider nicht und so musste der alte Postschuppen weiterhin seinen Dienst als Fahrkartenausgabe bis Mitte 2000 verrichten. Mittlerweile gibt es einen kleinen Pavillon der Deutschen Bundesbahn (DB) für Fahrkarten und einen Imbiss. Aber irgendwie wirkt alles nur improvisiert und deshalb sollten sachliche und konstruktive Gespräche über den Bau eines echten Empfangsgebäudes nicht aufhören.
Als der Bahnhofsvorplatz im Jahre 2005 nochmal umgestaltet wurde, verschwanden auch die Treppenstufen vor dem Tunneleingang (manche Nauener nennen es auch nur „Das Loch“). Kaum ein Nauener wusste, dass diese Treppenstufen noch aus dem alten Empfangsgebäude stammen. Es war auch schwer vorstellbar, dass sich diese Stufen bis zum 20.04.1945 noch in demGebäude befanden und nicht außerhalb. Wer sich einen kleinen Eindruck vom ehemaligen Nauener Empfangsgebäude verschaffen möchte, sollte nach Neustadt/Dosse oder Ludwigslust fahren. Dort stehen die (fast) baugleichen Gebäude heute unter Denkmalschutz!
Heute (2021) kann man Nauen mit zwei Regionalbahnlinien aus Berlin, die von der Deutschen Bundesbahn betrieben werden sowie einer Regional-Expresslinie von Wismar über Berlin nach Cottbus, die von der Ostdeutschen Eisenbahn (ODEG) betrieben wird, erreichen. Der Streckenabschnitt zwischen Berlin-Spandau und Nauen wurde am 1. Dezember 2020 zum überlasteten Schienenweg erklärt. Deshalb planen derzeit die Bundesländer Berlin und Brandenburg, die Deutsche Bahn und der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) mit dem Schienenausbauprojekt i2030 den 4-gleisigen Ausbau der Strecke Berlin-Spandau – Nauen.
Die Lebendigkeit und den Charme eines Eisenbahnknotenpunktes von einst wird Nauen wohl nie wieder erreichen. Dampfloks, Rübenkampagne, die Kreisbahnen und die „Stille Pauline“ mit ihren schmalspurigen Gleisen sind längst Vergangenheit. Nur noch beim aufmerksamen Hinschauen entdeckt man in alle Himmelsrichtungen die zugewachsenen Gleistrassen, die uns an den einstmals bedeutsamen und betriebssamen Bahnknoten Nauen erinnern. Keine andere märkische Stadt hatte so ein weit verzweigtes Eisenbahnnetz aufzuweisen wie Nauen, selbst die Provinzhauptstadt Potsdam nicht! Darauf können die Nauener stolz sein!
Autor: Uwe Ulrich
Hier zum 1. Teil – Die Eisenbahn in und um Nauen
Hier zum 2. Teil – Der Ursprungs-Bahnhof
Hier zum 3. Teil – Die Kleinbahnen
Hier zum 4. Teil – Von Nauen nach Velten mit der Töpferbahn
Hier zum 5. Teil – Nauen – Wildpark – Umgehungsbahn
Hier zum 6. Teil – Nauen – Oranienburg – nördliche Umgehungsbahn
Hier zum 7. Teil – Mit der stillen Pauline von Nauen nach Rathenow
Hier zum 8. Teil – Der große Umbau vom Bahnhof Nauen